[13.07.2009] - Schauplatz - Christian Rühmkorf
EU-Kommissar Vladimír Špidla im Radio-Prag-Interview
Die Europäische Union befindet sich – zumindest was ihre Reform betrifft
– in der Schwebe. Die Zukunft des Vertrags von Lissabon ist nach wie vor
unsicher. Irland, Tschechien und Polen sind die unsicheren Kandidaten. In
Deutschland – so will es das Bundesverfassungsgericht - muss noch ein
wenig an der nationalen Gesetzgebung gebastelt werden, erst dann kann
Bundespräsident Köhler unterzeichnen. Na und last but not least das
europa-lahme Großbritannien. Hier droht bei einem konservativen
Regierungswechsel ebenso ein Referendum über den bereits abgesegneten
Lissabon-Vertrag. Darüber sprach Christian Rühmkorf vor kurzem mit dem
tschechischen EU-Kommissar für Beschäftigung, Soziales und
Chancengleichheit, Vladimír Špidla. Aber es ging auch um die Nachfolge in
seinem Amt und – seit langem aktuell – die Frage, warum Frauen immer
noch viel weniger verdienen als Männer.
C.R: Herr Kommissar Špidla, nach einem Regierungswechsel in
Großbritannien droht möglicherweise ein neues Referendum über den
Lissabon- Vertrag. Sie selbst haben vor Jahren schon generell für ein
Referendum plädiert. Glauben Sie, dass man die Entscheidung in einer so
komplexen Sache, wie eben den Lissabon- Vertrag, einfach der Bevölkerung
überlassen kann?
Vladimír Špidla: „Das ist natürlich eine sehr komplexe, schwierige
Frage. Sie wissen sehr gut, dass es in der Bundesrepublik Deutschland
aufgrund der geschichtlichen Entwicklung des Landes kein Referendum gibt.
Es gibt Menschen, die der Meinung sind, dass es zu schwierig ist. Ich bin
der Meinung, dass ein Referendum möglich ist. Ich war immer dafür. Aber
man muss es natürlich sehr gut vorbereiten. Und vorbereiten bedeutet auch,
die richtigen Fragen zu stellen.“
C.R: Gerade das ist die Hauptfrage – ein Referendum eröffnet immer die
Möglichkeit der Manipulation, wie wir es im Fall von Irland auch erlebt
haben. Das ist doch eine Gefahr, oder?
Vladimír Špidla: „Sicher. Aber jede politische Methode gibt die
Möglichkeit zur Manipulation. Sogar die parlamentarische Diskussion. Somit
ist mögliche Manipulation kein gutes Argument gegen ein Referendum.
Schauen Sie, alle Länder, die der Europäischen Union beigetreten sind,
hatten ihre Referenden. Und der Beitritt zur Europäischen Union ist auch
eine äußerst komplexe Frage. Trotzdem gab es Referenden und es hat gut
geklappt. Es gab die richtigen Diskussionen und die entsprechenden
Entscheidungen wurden getroffen.“
C.R: Kommen wir ganz kurz zur neuen EU- Kommission, die jetzt in der
nächsten Zeit gebildet werden muss. Die Entscheidung über den neuen
tschechischen EU-Kommissar soll erst nach den tschechischen
Parlamentswahlen im Herbst fallen. Halten Sie das für einen Fehler?
Vladimír Špidla: „Das ist schwer zu sagen, denn wenn Sie die
Schlussfolgerungen vom letzten (Europäischen, Anm. d. Red.) Rat lesen,
dann können Sie sehen, dass die Kommissare in dem Moment ernannt werden
sollen, wenn die Rechtsbasis klar ist. Das wird erst im Oktober der Fall
sein. In diesem Sinne handelt die tschechische Regierung im Rahmen.“
C.R: Haben Sie für die tschechische Regierung ein Wunsch-Ressort? Es wird
ja gesagt, dass man im Herbst zu spät dran sein könnte. Denn dann sind
vielleicht die besten Stücke vom Kuchen schon weg.
Vladimír Špidla: „Es ist natürlich schwierig zu bestimmen, welches
überhaupt die besten Stücke vom Kuchen sind. Ich weiß zum Beispiel, dass
die tschechische Regierung mit dem Energie-Ressort liebäugelt. Es stimmt,
die tschechische Regierung hat strategische Schwierigkeiten mit der
Energie. Da kann ich mir vorstellen, dass meine Kollegen in der
tschechischen Regierung das wollen. Meiner Meinung nach sind die sozialen
Fragen wirklich sehr wichtig. Schon Jean Monet sagte: ´Wir vereinigen
keine Staaten, wir verbinden Menschen´. Das bedeutet, dass die sozialen
Fragen direkt die Menschen betreffen. Das wäre interessant. Ich könnte
mir auch vorstellen, dass die Tschechen an den Struktur-Fonds interessiert
sind. Das ist natürlich eine politische Frage. Das Wichtigste ist aber
immer, überhaupt einen Kommissar zu haben und bei den wichtigen
Entscheidungen dabei zu sein.“
C.R: Kommen wir nun zu einem letzten Thema, einer letzten Frage. Eine neue
Studie, die vergangene Woche herauskam, hat ergeben, dass Frauen in
Tschechien immer noch ein Viertel weniger verdienen, als Männer. Ist das
ein Gleichstellungsproblem oder liegt es daran, dass Frauen oft vielleicht
geringere Karriereambitionen haben als Männer?
Vladimír Špidla: „Ja, das ist tatsächlich ein Problem. Es ist nicht
so, dass Frauen geringere Ambitionen hätten. Ihnen werden geringere
Ambitionen von der Gesellschaft aufgezwungen. Wenn es wirklich hart auf
hart kommt, muss sich viel häufiger die Frau aufopfern. Das würde ich
nicht unterschätzen. In der Tschechischen Republik gibt es ein Problem der
faktischen Gleichstellung, in der Bundesrepublik Deutschland und in anderen
Ländern auch. Aber die Tschechische Republik liegt im Vergleich zu den
anderen Mitgliedsstaaten unter dem Durchschnitt, und der liegt bei 17
Prozent (geringerer Verdienst der Frauen im Vergleich zu Männern, Anm. d.
Red.).“
C.R: Welche Maßnahme könnte dieses Problem jetzt am schnellsten lösen,
was könnte die Europäische Union tun, was könnte die Tschechische
Regierung tun?
Vladimír Špidla: „Es gibt Nichts, was man einfach tun könnte und
schon ist die Sache geregelt. Das ist unmöglich. Es ist das Anliegen der
Europäischen Union, dass es ein gewisses Gleichgewicht gibt zwischen
Familie und Arbeit. Dieses Gleichgewicht kann man unterstützen durch
Kindergärten und Kinderkrippen, durch verschiedene Konzepte von
Arbeitszeit, durch die Struktur von Elternurlaub und so weiter. Das ist
eine komplexe Aufgabe und ich sehe die größten Möglichkeiten der
Europäischen Union und der einzelnen Mitgliedsstaaten genau in dieser
Richtung.“
Source: Czech Radio 7, Radio Prague
URL: http://www.radio.cz/de/artikel/118258
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