[02.06.2009] - Aus dem Tonarchiv - Eva Schermutzki
1939 – Tschechische Arbeiter „heim ins Reich“
Arbeiter-Migranten von Tschechien nach Deutschland gab es schon immer. 1938
fragt das Deutsche Reichsarbeitsministerium allerdings erstmals bei der
Prager Regierung an, ob in der Tschechoslowakei Arbeitskräfte geworben
werden dürfen. Die Behörden in Prag reagieren reserviert. Doch die
deutschen Werbebüros verzeichnen Zulauf. Gute Löhne und angenehme
Arbeitsbedingungen werden versprochen. Die Abfahrt eines Sonderzuges mit
tschechischen Arbeitern nach Deutschland wurde vom Rundfunk begleitet.
„In den Kameraden dort wird er finden: echte, treue, aufrichtige
Arbeitskameraden aus allen Orten und Gauen des großen deutschen Reiches.
Jeder Einzelne dieser schlichten Arbeitsmänner aus Böhmen und Mähren ist
sich bewusst, dass seine heutige Fahrt ins Altreich den Beginn eines neuen
Lebensabschnittes für ihn und die Seinen bedeutet.“
Tschechische Arbeiter machen sich hier am 5. Juni 1939 auf den Weg nach
Deutschland, ins Großdeutsche Reich. Im damaligen Protektorat Böhmen und
Mähren sind die Arbeitsplätze knapp. Etwa 100.000 Arbeitslose werden
schon 1938 zu Beginn des Protektorats verzeichnet. Nach der Unterzeichung
des Münchner Abkommens im November 1938 und dem Einmarsch der Deutschen
Wehrmacht in Prag im März 1939, nutzen die Nationalsozialisten die Notlage
der Menschen schamlos aus. Geld und angeblich gute Arbeitsbedingungen
sollten möglichst viele Arbeitslose nach Deutschland locken.
„Viele hunderte von Männern und Frauen sind hier in der Bahnhofshalle
versammelt. In kleinen Gruppen stehen die Arbeiter mit ihren Angehörigen
und Freunden beisammen, um noch einmal die wichtigsten Dinge zu besprechen
und in herzlichen ernsten Worten Abschied zu nehmen. Und eben hat jeder der
Fahrtteilnehmer von unseren braven Schwestern der NSV
(Nationalsozialistische Volkswohlfahrt) Prag noch ein Paketchen mit der
notwendigsten Wegzehrung, mit Zigaretten und allen möglichen guten Dingen
für die lange Fahrt mitbekommen.“
Ein Beauftragter des Reichsarbeitsministeriums wird ans Mikrofon gebeten.
Er soll über – so wörtlich – „dieses Ereignis der
Arbeitsverschaffung und Arbeitsvermittlung für viele hunderte tschechische
Arbeiter aus dem Protektoratsgebiet“ einige Worte sagen.
„Die Verwirklichung der Erfassung der Tschechen für den Arbeitseinsatz
im Reich hat am 23. März begonnen und wird seitdem mit etwa 35 besonders
geeigneten Arbeitsvermittlern des Deutschen Reiches im ganzen Gebiet
Böhmen und Mähren in engster Verbindung mit dem tschechischen
Sozialministerium durchgeführt. Bisher wurden bereits rund elftausend
tschechische Arbeitskräfte eingesetzt. Und so fahren augenblicklich
täglich etwa zwei Sonderzüge.“
Anfangs meldeten sich die Arbeitswilligen noch aus freien Stücken. Ab
Juni 1939 aber war jeder Erwerbslose dazu verpflichtet sich in deutschen
Werbebüros zu melden. Wer sich weigerte, bekam keine
Arbeitslosenunterstützung mehr gezahlt. Nach Ausbruch des Zweiten
Weltkriegs stieg der Bedarf nach Arbeitskräften in der sogenannten
kriegswichtigen Industrie stark an. Ab sofort konnte jeder zur „Arbeit im
Reich“ herangezogen werden. Über eine halbe Million tschechischer
Arbeiter wurden bis Mitte 1944 eingezogen. Nach dem Überfall auf Polen
wurden weitere hunderttausende Kriegsgefangene und Zivilisten zum
Arbeitseinsatz ins „Reich“ verschleppt. Die Unterbringung der
Zwangsarbeiter verschlechterte sich im Verlauf des Krieges. Harte
Arbeitsbedingungen und schlechte hygienische Verhältnisse kosteten
Tausenden von ihnen das Leben.
Source: Czech Radio 7, Radio Prague
URL: http://www.radio.cz/de/artikel/116870
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