[07.04.2009] - Aus dem Tonarchiv - Christian Rühmkorf
Ostern 1938 – Beneš verkündet auf drei Tage den Gottesfrieden
Ostern vor 71 Jahren. - Europa steht unter dem Druck nationaler Interessen
und vor allem deutscher Machtpolitik. Hitler hatte sein Ziel klar
vor Augen: Die Zerschlagung der Tschechoslowakei. Er setzte den Hebel der
Nationalitätenkonflikte an. Im Frühjahr 1938 versuchte Präsident Beneš
noch mäßigend auf die Deutschen in seinem Land einzuwirken.
Am 11. April 1938 nahm der tschechoslowakische Staatspräsident Edvard
Beneš – ganz im Zeichen des Osterfestes – die Jahresfeier des Roten
Kreuzes zum Anlass und erklärte im deutschen Programm des
Tschechoslowakischen Rundfunks:
„Wir verkünden in der ganzen Republik auf drei Tage den
Gottesfrieden.
Das ist die Einstellung aller politischen, sozialen und nationalen
Kämpfe,
indem wir daran erinnern, dass uns alle das Band der Liebe und der
gemeinsamen menschlichen Solidarität verbindet.“
Verbinden sollte, muss man hier anfügen. Die politische Lage in der
Tschechoslowakei und in Europa war im Frühjahr 1938 äußerst angespannt.
Die Tschechoslowakei befand sich seit Jahren im zähen Ringen mit ihren
nationalen Minderheiten, vor allem mit den Sudetendeutschen. Das Schweizer
Modell, das der spätere Staatspräsident Masaryk noch vor der
Staatsgründung 1918 propagiert hatte, war nicht umgesetzt worden. Und
viele Vertreter der Deutschen im Lande konnten sich nicht mit dem
Machtwechsel und dem Machtverlust in der ČSR abfinden. Am 12. März 1938
war Österreich an das Deutsche Reich angeschlossen worden. In der
benachbarten Tschechoslowakei wuchs die Angst vor Hitler. Die radikale
Sudetendeutsche Partei hatte sich mittlerweile zum gewollten und
vollständigen Vasallen der Hitlerschen Imperialinteressen entwickelt. In
dieser Situation versuchte Beneš noch ausgleichend in die Eigendynamik
der
Ereignisse einzugreifen:
„Wir behaupten und wollen in der Praxis den Grundsatz zur Geltung
bringen, dass diese Streitigkeiten beider Nationen, die eine wirklich
humane Kultur haben, nicht der Lösung durch Gewalt und Waffen bedürfen,
sondern im Wege der Diskussion, des Übereinkommens und Kompromisses
gelöst werden können.“
Der Wahlspruch der Republik - ´Die Wahrheit siegt´ - gehe von für ihn
unabänderlichen ethischen Grundsätzen aus, so Beneš:
„Er verlangt, dass wir in unserem Nächsten stets das geheiligte
Ziel
unseres Handelns sehen und ihn niemals zum Mittel oder Werkzeug unserer
Ziele und Bestrebungen machen. Er verlangt, dass wir den Menschen und
seiner Seele ethisch als uns gleichwertig betrachten. Er verlangt, dass
wir
einen Einzelnen, eine Klasse oder Nation nicht als höher stehend und die
anderen als geringer betrachten.“
Alles Grundsätze, die dem europäischen und vor allem deutschen Zeitgeist
der Machtpolitik zuwider liefen. Das wusste auch Präsident Edvard Beneš.
Der Wahlspruch über den Sieg der Wahrheit bedeute nicht, passiv
abzuwarten:
„Er bedeutet die aktive Verteidigung der Wahrheit. Der Mensch, der
versklavt und seiner menschlichen Würde beraubt werden soll, dem
Toleranz,
Objektivität und guter Wille versagt werden, hat das Recht, sich zu
wehren. Ebenso jede Gesellschaft, Nation und Staat.“
Das seien die Grundsätze der tschechoslowakischen Außen- und
Innenpolitik. Beneš versuchte noch einmal, die Nationen in die Pflicht zu
nehmen:
„Die Tschechoslowaken ebenso wie die Deutschen in der
Tschechoslowakei
sind reife Träger der Europäischen Kultur, welche die Pflicht haben und
den Ehrgeiz haben sollen, vor ganz Europa ein gutes Beispiel dafür zu
geben, wie nationale Schwierigkeiten im Interesse eines Jahrhunderte alten
gemeinsamen Vaterlandes in richtiger und vernünftiger Weise zu lösen
sind.“
Ein Jahr später, am 15. März 1939 war aus dem tschechischen Teil der
Tschechoslowakei das Reichprotektorat Böhmen und Mähren geworden. Der
Staat hatte aufgehört zu existieren.
Source: Czech Radio 7, Radio Prague
URL: http://www.radio.cz/de/artikel/115052
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