[14.03.2009] - Kapitel aus der Tschechischen Geschichte - Daniel Kortschak
Vor 70 Jahren besetzten deutsche Truppen Böhmen und Mähren
Am 29. September 1938 gaben die Großmächte Frankreich, Großbritannien
und Italien Adolf Hitler grünes Licht für die Eingliederung der
Sudetengebiete in das Deutsche Reich. Doch dieses Münchner Abkommen war
nur der erste Schritt zur vollständigen Okkupation Böhmens und Mährens:
Am 14. März 1939 rückten Soldaten der Wehrmacht auf das Gebiet der
Tschechoslowakei vor, am nächsten Morgen marschierten sie in der
Hauptstadt Prag ein. Aus den von Deutschland „Rest-Tschechei“ genannten
Gebieten wurde das Protektorat Böhmen und Mähren, die Slowakei spaltete
sich in einen eigenen Staat ab; der aber kaum mehr war als ein Satellit des
Deutschen Reichs. Während die so genannten „volksdeutschen“ Einwohner
zu Bürgern des Deutschen Reiches erklärt wurden, mussten sich die
übrigen Bewohner des Landes Schikanen aller Art gefallen lassen.
Hunderttausende wurden in die Konzentrationslager deportiert oder zur
Zwangsarbeit verpflichtet. In unserem „Kapitel aus der tschechischen
Geschichte“ erfahren Sie heute mehr über diesen weiteren Meilenstein in
der tschechischen Geschichte im „9er-Gedenkjahr“.
Am 15. März 1939 marschierten die Soldaten der deutschen Wehrmacht in Prag
ein. Ein hörbar aufgeregter Reporter des Prager Rundfunks berichtete
direkt aus dem Stadtzentrum.
Eben geschehe nicht viel. Es marschierten keine Truppen. Als Pausenfüller
berichtet der Reporter von seinem Besuch in Berlin im Jahr 1937: Auch knapp
zwei Jahre später ist er noch beeindruckt von der feierlichen Stimmung,
die beim Staatsbesuch von Benito Mussolini herrschte. Und auch für einen
Ausflug ins wunderschöne Potsdam mit seinem Schloss und den Gärten sei
ihm Zeit geblieben, erzählt der Rundfunkmann seinen Hörern. Die dortige
Idylle stehe in scharfem Kontrast zum Geschehen in der heutigen Zeit. Dort
in Potsdam habe er beobachten können, wie die deutschen Truppen einen
Aufmarsch musikalisch begleiten: Unvorstellbar diszipliniert, ja geradezu
mechanisch, so, wie es hierzulande undenkbar wäre, verkündet der Reporter
euphorisch.
Dann bricht er seine Rückblende ab. Gerade in diesem Moment schreiten
neue Einheiten vorbei. Motorisierte sind es nun, wie der Reporter in
hastigen Worten schildert. Riesige Fahrzeuge, die Fliegerabwehrkanonen
transportieren. Mit unvorstellbaren 18 Rädern. Der Radiojournalist kann es
kaum glauben, fragt einen Kollegen: Ja, neun Räder an jeder Seite,
tatsächlich, er habe nachgezählt. Zwölf Mann Besatzung weise jedes
dieser Ungetüme auf. Auf einem Anhänger – vier Gummiräder hat er,
Zwillingsreifen sogar – ruhen die riesigen Fliegerabwehrgeschütze. Viel
größer als die heimischen. Vielen Dank an den Herrn Ingenieur
Morgenstern, der hier als Übersetzer zwischen tschechischen Reportern und
dem Herrn Feldmarschall arbeitet. Er habe ihm auch mit fachlichem Rat und
Tat zur Seite gestanden, berichtet der Reporter.
Und jetzt kommen kleinere Traktoren, ja Lastwagen. Darauf kleinere
Geschütze. Nur sechs Räder. Dahinter Wagen mit Beleuchtungs- und
Aufklärungstechnik aller Art. Am Schluss des Zuges Truppentransporter.
Aber nicht nur der tschechische Rundfunk berichtet von diesem Ereignis.
Auch deutschsprachige Reporter sind an diesem denkwürdigen Tag vor Ort:
„Hier ist der volksdeutsche Sender Prag 2. Das Mikrofon auf der Galerie
des Museums am Wenzelsplatz. Eben hat sich der untere Teil des
Wenzelsplatzes mit Menschenmassen gefüllt, die ein uns unverständliches
Lied singen. Aber es ist – das hört man – ein Lied der Begeisterung.
Die deutschen Truppen haben den Wenzelsplatz betreten. Rechts vom
Wilson-Bahnhof hier oben kommend sind deutsche Panzerwagen und
Motorradwagen eben eingebogen und der tschechische Schupo lenkt, als komme
eine Straßenbahn daher, so selbstverständlich die deutsche Kolonne der
Panzerwagen und der Motorradwagen auf den Wenzelsplatz ein. Überall
fliegen die Hände hoch. Hoch zum Hitlergruß. Ein historischer Augenblick
hat seine Erfüllung gefunden. 15. März 1939, 10 Uhr 40: Die Truppen Adolf
Hitlers sind auf dem Wenzelsplatz, im Herzen der Stadt angelangt. Und Sankt
Wenzel blickt von seiner Reiterstatue hernieder auf diese deutschen
Soldaten, die in feldgrauer Uniform daher schreiten und die feldgrauen
deutschen Wagen…“
Mit dem Einmarsch der deutschen Truppen am 14. und 15. März 1939 endete
die 1918 erlangte Unabhängigkeit der Tschechoslowakei nach rund 20 Jahren
wieder. Ein Jahr nach dem so genannten „Anschluss“ Österreichs an das
Deutsche Reich und wenige Monate nach der Abtretung der Sudetengebiete mit
dem Ende September 1938 geschlossenen Münchner Abkommen hatte Adolf Hitler
auch die im Nazi-Jargon „Rest-Tschechei“ genannten Gebiete unter seine
Kontrolle gebracht.
Noch am 14. März 1939 verhandelte Staatspräsident Emil Hácha in
München mit Hitler über die Zukunft der Tschechoslowakei. Unter massivem
Druck Hitlers und in der irrigen Annahme, eine Kollaboration würde die
Konsequenzen für die tschechische Bevölkerung mildern, stimmte Hácha –
am Rande des physischen und psychischen Zusammenbruchs – der Entstehung
des Protektorats Böhmen und Mähren zu. Dafür wurde er von Adolf Hitler
zum Präsidenten des Protektorats-Staates Böhmen und Mähren ernannt. Am
16. März 1939 rief Hitler offiziell das Protektorat Böhmen und Mähren
aus. Am selben Tag trat auch Staatspräsident Hácha vor sein Volk.
„Tschechische Bürger! Vor 20 Jahren jubelte das ganze Land. Wir waren
uns sicher, dass wir nun in eine glückliche Zeit unserer nationalen
Geschichte eintreten, die uns eine völlige und dauerhafte Souveränität
garantiert. Ich habe aber stets davor gewarnt, dass die außen- und die
innenpolitischen Umstände nicht dazu geeignet waren, unsere
Unabhängigkeit zu garantieren. Nun, nach 20 Jahren, sehe ich mit Kummer,
dass meine damaligen Befürchtungen nicht unbegründet waren. Es hat sich
gezeigt, dass das, was wir für eine Lösung gehalten haben, die über
Generationen hinweg Bestand haben werde, nur eine kurze Episode unserer
Geschichte war.“
Er habe lange über die richtige Vorgangsweise nachgedacht und
schließlich seine Entscheidung getroffen. Er sei sich trotz aller Zweifel
sicher, dass der eingeschlagene Weg der richtige sei, um ein Maximum der
Freiheiten und Reichtümer des tschechischen Volkes zu bewahren. Daher habe
er auch eine Reihe von Forderungen an Adolf Hitler gestellt.
Doch von einer Selbstbestimmung des tschechischen Volkes war in den darauf
folgenden sechs Monaten keine Rede. Bereits im Herbst 1939 wurden nach
Protesten der tschechischen Professoren und Studenten alle Universitäten
und Hochschulen geschlossen. Tausende tschechische Studenten wurden
verhaftet. Präsident Hácha pochte immer wieder auf die Einhaltung der
Unabhängigkeits-Garantien. Dabei konnte er auch durchaus einzelne Erfolge
erzielen, etwa die Freilassung einiger der verhafteten Studenten. Doch
gegen den systematischen Terror der Nazis, gegen Schikanen, Enteignungen,
Verhaftungen und die Deportation Hunderttausender Bürger konnte Emil
Hácha letztlich nur wenig ausrichten.
Source: Czech Radio 7, Radio Prague
URL: http://www.radio.cz/de/artikel/114203
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