[28.02.2009] - Kapitel aus der Tschechischen Geschichte - Katja Holubek
Nordrhein-Westfalen verliert einzigen Lehrstuhl zu Kultur und Geschichte Deutscher in Osteuropa
In unserem heutigen Geschichtskapitel geht es um ein Thema, das in
Nordrhein-Westfalen Politiker, Historiker und Akademiker gleichermaßen
beschäftigt: Die Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf schafft den
Lehrstuhl für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa in
seiner bestehenden Form ab. Der Forschungsbereich wird in das
Osteuropa-Institut eingegliedert. Gerechtfertigt oder nicht? Dazu lassen
wir im ersten Teil Personen zu Wort kommen, die sich von Amts wegen mit dem
Thema befassen. Der zweite Teil des Geschichtskapitels ist ein Interview
mit Professor Detlef Brandes, der den Lehrstuhl 1991 ins Leben rief und bis
Sommer 2008 leitete.
Das Institut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa
ist keine Einrichtung, die sich ausschließlich mit den deutschen
Angelegenheiten in der ehemaligen Tschechoslowakei beschäftigt. Vielmehr
wird Wissen über historische Vorgänge in sämtlichen Ländern Osteuropas
vermittelt. Man unterhält unter anderem enge Beziehungen zur
Karlsuniversität Prag. Professor Detlef Brandes, ehemaliger Leiter des
Instituts, wurde 2001 mit der Ehrendoktorwürde der tschechischen
Partneruniversität ausgezeichnet. Administrativ ist sein früherer
Lehrstuhl der Philosophischen Fakultät unterstellt. Deren Dekan, Professor
Hans Siepe, zu den Veränderungen am Institut:
„Die Philosophische Fakultät besaß zwei Professuren zur Geschichte
Osteuropas. Die Professur zu Geschichte und Kulturen Osteuropas bleibt
erhalten. Die Professur, die Herr Brandes innehatte, mussten wir jedoch aus
strukturellen Gründen umwandeln. Man muss das auch vor dem Hintergrund
sehen, dass die Heinrich-Heine-Universität keine Slawistikforschung im
eigentlichen Sinne betreibt und wir nicht zwei Professuren für
osteuropäische Geschichte und Kulturen halten können. Wir benötigen frei
werdende Stellen, um die Sprachwissenschaft in einen
Sonderforschungsbereich zu überführen.“
Im Sommer letzten Jahres wurde der Lehrstuhl nach der Emeritierung von
Professor Brandes nicht neu besetzt. Erwartungsgemäß wenig Anklang findet
die vollzogene Umwandlung bei den zahlreichen Vertriebenenverbänden in
Deutschland. Der Lehrstuhl ist in der Form schließlich der einzige in
Nordrhein-Westfalen, dem Bundesland, das mit etwa 2,4 Millionen die meisten
Vertriebenen aufnahm. Auf die Frage, was man beim Landesverband der
Vertriebenen in Nordrhein-Westfalen davon hält, antwortet
Geschäftsführer Markus Patzke prompt:
„Gar nichts. Paragraph 96 des Vertriebenengesetzes sagt unserer Meinung
nach aus, dass sich Bund und Länder für Bildung und Wissenschaft zum
Thema Vertreibung einzusetzen haben. Zwar soll das Osteuropa-Institut diese
Aufgabe übernehmen, aber dort ist es dann nur ein Bereich unter vielen. Es
ist schon bedauerlich, dass dieser Lehrstuhl, der speziell für Kultur und
Geschichte der Deutschen im östlichen Europa eingerichtet worden ist,
wegfällt.“
Auch auf politischer Ebene sorgte die Entscheidung der Uni für geteilte
Meinungen. Bodo Wißen, Landtagsabgeordneter der SPD in
Nordrhein-Westfalen, war selbst Student bei Professor Brandes. Auch er
versteht nicht, warum gesetzlich begünstigte Forschungen wie diese in
größere Fachbereichen eingegliedert werden.
„Ich denke, dass es im größer werdenden Europa sehr wichtig ist, dass
man die gegenseitige Kultur kennen lernt. Am Institut bei Professor Brandes
lehrte man keine einseitige Sichtweise allein auf die Deutschen, die dort
siedelten, sondern ein Gesamtbild. Es wäre einfach schade, wenn das
Institut wegfallen würde. Begründet wird dies von einer CDU-geführten
Landesregierung, und wenn man dann noch weiß, dass in den verschiedenen
Landesverfassungen ausdrücklich festgelegt ist, dass man diese Kultur
begleiten soll und auch entsprechende Angebote an den Hochschulen fördern
soll, dann stimmt einen das als ehemaligen Studenten des Instituts
natürlich traurig.“
Zeit, Detlef Brandes selbst zu Wort kommen zu lassen. Er gilt als Experte
für deutsch-tschechische Beziehungen und ist unter anderem Mitglied der
länderübergreifenden Historikerkommission. Im Jahre 1991 berief man
Brandes als Professor an die Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, wo er
das Institut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa
aufbaute. Letztes Jahr wurde er emeritiert und widmet sich nun
größtenteils seinen Publikationen. Was sagt er zur Abschaffung dieses
Lehrstuhls, den er selbst 17 Jahre innehatte?
„Dazu könnte ich viel sagen. Ich habe versucht, das zu verhindern und
viele Kollegen haben sich dafür eingesetzt, dass der Lehrstuhl wieder
besetzt wird. Es ist uns nicht gelungen. Diese Stelle wird für eine
Linguistikprofessur verwendet, in der Hoffnung, dass daraus irgendwann ein
Sonderforschungsbereich wird. Das ist eine Entwicklung, die durch diese
Konkurrenz um die Exzellenz-Initiative angestoßen worden ist und den
Geisteswissenschaften allgemein schadet. In diesem Fall bedeutet das unter
anderem, dass eine der ganz wenigen Stellen zur Ostmitteleuropaforschung
verschwindet.“
Professor Brandes, Sie halten oft Vorträge oder werden eingeladen, aus
Ihren Büchern zu lesen. Was genau weiß Ihr Publikum im jeweiligen Land
bereits über die Geschichte des Nachbarn?
„Das ist natürlich sehr unterschiedlich. Häufig wird man in
Deutschland zu einem Publikum eingeladen, das von Vertriebenen dominiert
wird. Dort gibt es natürlich feste Positionen, die gar nicht so leicht zu
erschüttern sind.“
Welche zum Beispiel?
„Ganz bestimmte Vorstellungen von Edvard Beneš als Haupturheber und
Organisator der Vertreibung. Es herrscht die Vorstellung, dass alles 1918
angefangen hat, indem die Sudetendeutschen gegen ihren Willen in die
Tschechoslowakei eingegliedert worden seien. Die Menschen haben oft auch
nur ein geringes Interesse an der Zeit von 1933 bis 1938 und an der
deutschen Besatzung, das wird eher heruntergespielt. Es gibt aber auch ein
allgemeines Publikum, und da sehe ich keine wirklichen Vorurteile. Wenn ich
in Tschechien einen Vortrag halte, manchmal auf Tschechisch mit ein paar -
oder vielen - Fehlern, dann habe ich eigentlich immer das Gefühl, dass es
keine großen Gegensätze gibt.“
Was wird auf tschechischer Seite für die Aufklärung um die Ereignisse
der Vertreibung getan und was weiß man dort über das Münchener Abkommen?
„Es gibt eine Gruppe von tschechischen Historikern und Einzelpersonen,
die sehr viel für die Aufklärung über Vertreibung und Zwangsaussiedlung
getan haben. Das Münchener Abkommen ist natürlich ein Thema, das in der
tschechischen Historiografie eine große Rolle spielt und sicherlich auch
zur politischen Argumentation benutzt wird. Über die deutsche Besatzung
ist in den letzten Jahren weniger gesprochen und geschrieben worden, weil
nun natürlich das Erbe der kommunistischen Zeit im Mittelpunkt steht.“
Ist überhaupt ein Ende der Diskussionen und Forschungen zum Thema
Vetreibung realistisch oder ist das ein Fachgebiet, das uns noch
jahrzehntelang beschäftigen wird?
„Ich sehe eine Zäsur in der Aufnahme Tschechiens in die Europäische
Union. Bis dahin haben mache Interessenten versucht, mit dem
Vertreibungsthema diese Aufnahme zu verhindern oder aber eine positive
Stellungnahme der Tschechischen Regierung zu ihren Forderungen zu
erreichen. Nach der Aufnahme in die EU ist meiner Ansicht nach die Luft aus
dem politischen Streit raus. Trotzdem wird immer noch dazu geforscht und
diskutiert. Das wird so weitergehen, schließlich war das ein großes
Ereignis mit vielen Opfern und großen Leiden. Es hat die Menschen, die
davon betroffen waren, beschäftigt oder tut es immer noch - und auch
diejenigen, die jetzt zum Beispiel in einem Fernsehfilm davon erfahren.“
Source: Czech Radio 7, Radio Prague
URL: http://www.radio.cz/de/artikel/113701
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