[13.02.2009] - Der Medienspiegel - Christian Rühmkorf
„Erklären, wie es wirklich aussieht“ – Christina Janssen, die neue ARD-Korrespondentin in Prag
Christina Janssen, so heißt die neue Korrespondentin der ARD für Prag und
Bratislava. Christian Rühmkorf besuchte sie im ARD-Hörfunkstudio ganz in
der Nähe der deutschen Botschaft und der Burg und sprach mit ihr über den
neuen Job, über bewegte Zeiten und ihre Pläne hier in Prag.
Frau Janssen, Sie sind seit Anfang des Jahres die neue ARD-Korrespondentin
hier in Prag, ausgesandt vom Deutschlandradio und zuständig für
Tschechien und die Slowakei. Wenn ich richtig informiert bin, haben Sie
Chemie, Biologie, Germanistik und Anglistik studiert, also eine ganze Reihe
von Fächern. Wie sah Ihr Weg ins Radio aus?
„Der hat relativ früh begonnen. Während dieser zugegebenermaßen recht
ausgedehnten Studienzeit damals in Freiburg habe ich sehr früh beim
Universitätsradio angefangen, das damals neu gegründet wurde und noch in
einer echten Pionierphase steckte. Ich hatte großen Spaß daran und bin
gleich auf den Geschmack gekommen, was das Radiomachen betrifft. Dann war
ich als feste freie Mitarbeiterin beim SWF – später dann SWR –
beschäftigt und habe anschließend meine Runde durch verschiedene
Radioanstalten gedreht. Ich war als Praktikantin beim WDR und bei
Deutschlandradio Berlin. Nach dem Studium bin ich zu meinem großen Glück
als Volontärin beim Deutschlandfunk gelandet, genauer gesagt bei
Deutschlandradio Berlin, dem heutigen Deutschlandradio Kultur. Dort habe
ich anderthalb Jahre lang eine Ausbildung zur Redakteurin genossen und bin
danach für immerhin sechs Jahre beim Deutschlandfunk Redakteurin
gewesen.“
Wenn ich richtig informiert bin, sprechen Sie noch kein Tschechisch.
Kannten Sie die Tschechische Republik schon, bevor Sie hier als
ARD-Korrespondentin anfingen?
„Ich war zwei Mal als Urlaubsvertretung in Prag, aber auch im letzten
Jahr zu einer sehr spannenden Zeit, nämlich zum 40. Jahrestag der
Niederschlagung des Prager Frühlings. Das war in der Berichterstattung
eine sehr intensive und spannende Phase, in der dann auch ein bisschen Zeit
geblieben ist, Land und Leute kennenzulernen. Insofern hab ich zumindest
ein kleines bisschen gewusst, was mich hier erwartet. Ich konnte es
zumindest erahnen.“
Prag war also ein Wunschort?
„Ja, Prag war ein Wunschort. Obwohl man hinzufügen muss, dass dieser
ARD-Platz hier erst seit relativ kurzer Zeit zu meinem Heimatsender, dem
Deutschlandradio, gehört. Insofern gab es diese Option, nach Prag zu
können, lange nicht. Als diese Möglichkeit dann realistisch wurde, war
ich eigentlich gleich begeistert, weil ich mich als außenpolitische
Redakteurin gerade im Zuge der EU-Erweiterung 2004 sehr intensiv mit dieser
Region hier beschäftigt habe. Damals haben wir umfangreiche Programme mit
Reportagesendungen, Analysen und Diskussionssendungen gebracht. Das war ein
Riesenprojekt und ich habe es in meiner Redaktion betreut. Seitdem verfolge
ich dieses Thema mit großem Interesse und mit Spannung. Es ist toll, jetzt
hier vor Ort zu sehen, wie es sich entwickelt, denn dieser Prozess der
europäischen Integration ist ja einer, der immer weitergeht, Stichwort:
Lissabon-Vertrag, das ist ja gerade sehr aktuell.“
Ihr Vorgänger, Peter Hornung, war vier Jahre hier in Prag. Was hat er
Ihnen an Fallstricken, Themenbereichen und Ratschägen mit auf den Weg
gegeben, als Sie sich die Klinke in die Hand gedrückt haben?
„Er hat mir natürlich vor allem eine ganze Menge praktischer Tipps
gegeben und ein paar Kontakte zu sehr netten Leuten, die hier zu den
verschiedensten Themen etwas zu sagen haben und auch etwas sagen können.
Er hat von ein paar Dingen erzählt, die er für Eigenheiten der Tschechen
hält, und die einem vielleicht manchmal im persönlichen Umgang
weiterhelfen.“
Zum Beispiel?
„Er ist der Auffassung, und das bestätigt sich gelegentlich, dass es
ganz gut sei, wenn man zum Beispiel bei Interviews mit Politikern ein
bisschen Zeit mitbringt, also nicht in typisch deutscher Manier darauf
besteht, dass es pünktlich auf die Sekunde beginnt. Man sollte dann
einfach die Geduld haben, ein bisschen zu warten. Das ist einer seiner
Ratschläge. Was er mir auch mit auf den Weg gegeben hat, und was ich
eigentlich durch Peter Hornung und die netten Kolleginnen hier im
ARD-Studio kennengelernt habe, ist dieses Thema des tschechischen Humors.
Das ist etwas, was mir sehr viel Spaß macht und was ich in meiner
Berichterstattung auch transportieren will. Also nicht nur Politik, nicht
nur die Wirtschaftskrise und nicht nur der Lissabon-Vertrag, sondern auch
diese menschelnden Themen.“
Als Auslandskorrespondentin muss man eine Flut detaillierter Informationen
auf ein verdaubares Maß herunterbrechen und oft daran anknüpfen, was die
Menschen vielleicht schon kennen oder gehört haben. Dabei läuft man
vielleicht auch gelegentlich Gefahr, Stereotypen zu bedienen. Haben Sie
schon eine Vorstellung davon, welches Bild von Tschechien Sie jenseits der
aktuellen Berichterstattung transportieren wollen oder können?
„Das ist wirklich ein wichtiges Stichwort. Es ist natürlich immer am
leichtesten, Klischees zu bedienen. Und man muss ehrlicherweise sagen, dass
es das ist, worauf die Redaktionen in Deutschland natürlich auch
anspringen, wenn ein bekanntes Thema auftaucht, zum Beispiel Prostitution,
der betrügerische Taxifahrer, Nepp in den Prager Kneipen und so weiter.
Das kennen die Leute, darauf springen sie an, das wird sofort gesendet.
Aber ich halte es für besonders wichtig, dass man diese Themen zwar
tatsächlich aufgreift, jedoch erklärt, wie es wirklich aussieht: Dass
sich hier zum Beispiel in Sachen Taxifahren einiges geändert hat, weil es
bei Betrug inzwischen Sanktionen gibt. Letzten Mittwoch habe ich einen
Bericht über die Prostitution im deutsch-tschechischen Grenzgebiet
angeboten, die inzwischen einen dramatischen Rückgang erlebt, weil die
Behörden in den jeweiligen Orten zu drastischen Mitteln gegriffen haben,
um das Ganze einzudämmen. Einerseits ist da dieses Thema, das große
Aufmerksamkeit erregt, aber man hat gleichzeitig die Möglichkeit,
klarzustellen, dass in Tschechien vieles in Bewegung ist und eben nicht
alles so bleibt, wie es früher war. Soviel zu den bunten Themen, aber das
gilt im Übrigen auch für die schwergewichtigeren Themen. Da gehört auch
dazu, den Deutschen zu erzählen, dass in Tschechien das Thema
Vergangenheitsbewältigung inzwischen eine große Rolle spielt und dass es
dazu neue Ansätze und Blickwinkel gibt. So zum Beispiel eine Diskussion,
die Deutschen – zum Beispiel beim Thema Sudentendeutsche – auch in
einer Opferrolle zu betrachten, jedoch natürlich nicht ausschließlich.
Oder auch, dass es hier junge Dramatiker gibt, die zu diesem Thema
äußerst kritische Stücke auf die Bühne bringen. Das sind Dinge, mit
denen man Klischees aufbrechen kann und das sind die Geschichten, die ich
erzählen will.“
Welche Unterstützung bekommen Sie, um die sprachliche Hürde zu
überwinden und wie sieht der typische Arbeitsalltag einer
Auslandskorrespondentin aus?
„Im praktischen Arbeitsalltag ist es normalerweise so, dass ich zwischen
acht und neun Uhr ins Büro komme und dann gemeinsam mit meiner Kollegin
die Zeitungen durchgehe. Wir schauen uns die Themen an, wer sie wie
kommentiert, welche Thesen es zu welchen aktuellen Fragen gibt. Dann
überlegen wir, woraus wir selbst einen Bericht machen, was wir aufgreifen
wollen, welche Geschichte wir in Deutschland erzählen wollen. Dann
versuchen wir, dafür geeignete Interviewpartner zu finden.
Ich bemühe mich, pro Woche zwei bis vier Themen zu bearbeiten, je
nachdem, was gerade ansteht. Im Moment muss man nicht lange suchen, durch
die Ratspräsidentschaft gibt es hier eine sehr große politische
Aktivität und deshalb verfolgt man in Deutschland das Geschehen in
Tschechien auch sehr aufmerksam. Dann werden diese Stücke nach und nach
umgesetzt. Es gibt aber auch viele Redaktionen, die sich selbst Gedanken
dazu machen, was sie eigentlich aus Tschechien wissen und hören möchten.
Die rufen dann mit ganz konkreten Vorschlägen hier an. Neulich meldete
sich ein Kollege vom MDR und sagte, dass ich doch anlässlich der Berlinale
etwas über die tschechische Filmindustrie erzählen solle, zum Beispiel
über die Barrandov-Studios und welche Filme hier gedreht wurden. Das ist
ein Geben und Nehmen. In aller Regel bin ich diejenige, die versucht, die
Themen hier im Blick zu behalten, und sie dann auch so umzusetzen, damit
man in Deutschland etwas damit anfangen kann.“
Als Auslandskorrespondentin kennt man eigentlich kein Wochenende. Sind Sie
allein oder mit Familie nach Prag gezogen?
„Ich bin mit Familie hier, also mit meinem Mann und unserem einjährigen
Sohn. Mein Mann geht erst einmal zwei Jahre in Elternzeit und hat demnach
frei, um sich um unser Kind zu kümmern. Er findet sich sehr geduldig und
sehr liebevoll damit ab, dass ich so viel Arbeit habe. Das ist am Anfang
natürlich noch mehr als später im Normalbetrieb und jetzt während der
Ratspräsidentschaft ohnehin, aber ich denke, das lässt sich im Laufe der
Zeit auf ein familienfreundliches Maß eindämmen.“
Wie hat Ihre Familie reagiert, als klar wurde, dass es nach Prag geht?
„Mein Mann war eigentlich auch begeistert. Er kannte Tschechien und Prag
vorher viel besser als ich. Für ihn ist es ebenfalls eine sehr spannende
Zeit und er fängt auch gerade an, Tschechisch zu lernen. Ich hoffe, wir
schlagen uns wacker, erleben hier viele interessante Begegnungen und lernen
nette Leute kennen.“
Mit der Vaterzeit ist Ihre Familie in diesem Land ja eigentlich ein
Vorreiter...
„Das wäre im Übrigen auch ein ganz spannendes Thema für einen
Bericht. Ich habe mir auch schon überlegt, dass ich dazu gern etwas machen
will, wenn mein Mann auf Spielplätzen und in Krabbelgruppen die ersten
Erfahrungen gesammelt hat. Ich bin sehr gespannt, was er dann erzählt.“
Frau Janssen, herzlichen Dank für das Gespräch.
Source: Czech Radio 7, Radio Prague
URL: http://www.radio.cz/de/artikel/113250
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