[25.11.2008] - Tagesecho - Marianne Allweiss
„Praha-Prag 1930 bis 1948“ – deutschsprachige Zeitzeugen erzählen
Die Geschichte der böhmischen Deutschen zwischen 1930 und 1948 ist in
Tschechien nicht sehr bekannt. Um das zu ändern, lud das Prager
Literaturhaus deutschsprachiger Autoren unter dem Titel „Praha-Prag.
Eine
geteilte Geschichte“ zu einem Symposium in die Prager Stadtbibliothek.
Berichtet wurde über deutschsprachige Literatur und Medien in dieser
turbulenten Zeit. Doch im Mittelpunkt der Veranstaltung standen die
Erinnerungen von Zeitzeugen.
„Wir wollten zeigen, dass es nicht nur die schlechten Deutschen
gegeben
hat. Wenn man über die Deutschen in dieser Zeit spricht, denkt man das
sehr oft nur an den Nationalsozialismus. Aber es gibt auch die andere
Seite“, so Lucie Černohousová, die Leiterin des Prager
Literaturhauses.
Eine der Zeitzeuginnen ist Eva Mändl-Roubičková. Die kleine, weißhaarige Dame wurde 1921 in Saaz in einer deutschsprachigen jüdischen Familie geboren. Dort im Sudetengebiet verbrachte sie eine friedliche Jugend. Doch nach der Besetzung Österreichs im März 1938 hat sich ihr Leben radikal verändert. Als Jüdin wurde sie diskriminiert und kam jeden Tag weinend aus der Schule.
„Also habe ich meine Schulsachen genommen und war ganz zufrieden,
dass
ich nicht mehr in die Schule gehen musste, wo es unangenehm war. Wir sind
nach Prag gefahren und haben hier mit der Mutter und Großmutter in einem
Zimmer zur Untermiete gelebt. Also ganz primitiv. Inzwischen war es zu dem
Münchner Abkommen gekommen und wir waren hier als Flüchtlinge. Wir waren
uns bewusst, dass wir nicht mehr zurückkommen. Das war kein angenehmes
Leben. Es war schon so wie eine Vorbereitung fürs Konzentrationslager. Im
Herbst 1939 nach der Besetzung der Tschechoslowakei hat meine Großmutter
Selbstmord begangen. Sie wusste, dass sie – jeder wollte auswandern.
Fast niemandem
ist das gelungen. Ich habe einen Freund, mit dem ich im Sommer Tennis
gespielt habe, gefunden. Wir wollten zusammen auswandern. Anstelle mich zu
fragen: ‚Möchtest Du mich heiraten?, hat er gesagt: ‚Möchten Sie mit
mir auswandern, Fräulein?’ Aber leider ist uns das nicht
gelungen.“
Frau Mändl-Roubičková hat das Konzentrationslager Theresienstadt
überlebt und nach dem Zweiten Weltkrieg sogar ihren Verlobten wieder
gefunden. Seitdem lebt sie in Prag.
Besonders die anwesenden Schüler der deutschen Schule in Prag waren
sichtlich gerührt von diesen Erzählungen. Gerührt und verwirrt. Wer
waren diese Deutschen damals? Mal Tschechen, mal Deutsche, mal Juden, mal
Katholiken. Teils sprachen sie nur tschechisch, teils nur deutsch, teils
beides. Die einen unterstützten die tschechoslowakische Republik, die
anderen bekämpften sie. Einige waren bürgerlich, einige kommunistisch.
Fest steht, dass die Deutschen nach dem Ersten Weltkrieg rund 23 Prozent
der Bevölkerung in der Tschechoslowakei ausmachten und politisch und
kulturell äußerst aktiv waren. Dies überraschte einige der
tschechischen
Teilnehmer des Symposiums, zum Beispiel den Physiker Filip Lankaš.
„Wenn wir Tschechen über die Erste Republik sprechen – und das
ist
für uns immer noch sehr, sehr wichtig – denken wir immer nur an die
tschechische Kultur damals: Poesie, Architektur, Theater und so weiter.
Aber gleich daneben existierte auch die deutsche Kultur in der
Tschechoslowakei. Davon wissen wir praktisch gar nichts. Darüber spricht
man überhaupt nicht.“
Source: Czech Radio 7, Radio Prague
URL: http://www.radio.cz/de/artikel/110659
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