[25.11.2008] - Aus dem Tonarchiv - Martin Jarde
T. G. Masaryk 1932: Schulkinder sollen teilen, um den Frieden zu sichern
Im November 1932, mitten in der Weltwirtschaftskrise, empfing der
tschechoslowakische Rundfunk einen hohen Gast: Staatspräsident Tomáš
Garrigue Masaryk. Aber nicht die aktuelle Politik oder Wirtschaftsfragen
standen auf dem Programm, wie man vielleicht vermuten könnte – Masaryk
war ins Aufnahmestudio gekommen, um eine Rede für deutsche Kinder im
Schulfunkprogramm einzusprechen. Thema: Der Frieden und was auch
Schulkinder tun können, um ihn zu sichern.
„Liebe Schülerinnen und Schüler, gewiss hat man euch zu Hause und
in
der Schule erzählt, wie fürchterlich der Weltkrieg war. Viele Menschen
sind gefallen – vielleicht trauern auch bei euch Familien über den
Verlust eines teuren Angehörigen, der aus dem Kriege nicht mehr
zurückgekehrt ist.“
Keine abstrakte Abhandlung, keine graue Theorie. Tomáš Garrigue Masaryk
weiß, dass er auf diese Weise nichts erreicht. Er möchte den Kindern
1932
verständlich machen, was für ein Glück sie haben, dass sie in
friedlichen Zeiten aufwachsen dürfen – Kindern, die den Weltkrieg nicht
mehr selbst erlebt haben. Deshalb knüpft er an ihren Erfahrungsschatz an
– an die Erzählungen, die sie von zu Hause und aus der Schule kennen.
Dann erklärt er, wie jeder zum Erhalt des Friedens beitragen kann:
„Um den Frieden bemüht sich jeder, der ehrlich und solide in
seinem
Wirkungskreis arbeitet. Achten wir jeden, der seine Arbeit gewissenhaft
und
energisch leistet, ob Arbeiter, Bauer, Lehrer oder Beamter, wer immer und
jeder. Wenn wir alle gewissenhaft arbeiten, werden wir die jetzige schwere
Zeit überstehen, in der viele gerne arbeiten würden, aber keine Arbeit
finden.“
Die „schweren Zeiten“ von denen Masaryk spricht, sind die Jahre der
Weltwirtschaftskrise von 1929 bis 1933. Damals waren in manchen
sudetendeutschen Orten bis zu zwei Drittel, der dort lebenden Menschen
arbeitslos. Die Schüler ermuntert er deshalb zu eifrigem Lernen, um ihre
zukünftigen Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Außerdem
erklärt
er ihnen, dass auch sie im Schulalltag schon etwas für den Frieden tun
können:
„Ihr, die hinlänglich versorgt seid, gebet einen Teil denjenigen
Mitschülern, die nichts haben. Lasset es nicht zu, dass ein anderer
Hunger
leide, lasset nicht zu, dass er friere! Aber: Beneidet auch keinen, der
mehr hat als ihr.“
Masaryks fast schon biblisch anmutende Worte spiegeln seine Überzeugung
wider, dass nur ein christlich-soziales Weltbild zu einer besseren
Gesellschaft führen kann. Als Philosoph und demokratischer Humanist
entwickelte er Ideen über die Entstehung eines „neuen Menschen“ durch
eine bessere Gesellschaft. Eine solche Gesellschaft kann sich aber nur in
einer Welt des Friedens entwickeln. Deshalb richtet er am Ende seiner Rede
noch einmal einen sehr eindringlichen Appell an seine junge Hörerschaft:
„Die Zeit darf nie wieder kommen, wo die Menschen zu
hunderttausenden in
den Schlachten dahinstarben, in den Spitälern kläglich zugrunde gingen
und als Krüppel nach Hause zurückgekehrt sind. Versprechet mir, dass ihr
jeden achten werdet, der ehrlich arbeitet und jedes Volk, welches
aufrichtig für die Erhaltung des Friedens bemüht sein wird.“
Source: Czech Radio 7, Radio Prague
URL: http://www.radio.cz/de/artikel/110656
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