[29.10.2008] - Tagesecho - Till Janzer
Zeitzeugen im Internet – europaweites Projekt aus Tschechien gestartet
In der Nacht von Montag auf Dienstag wurde eines der weltweit größten
Zeitzeugen-Projekte im Internet freigeschaltet. Es ist in Tschechien
entstanden und heißt „Paměť národa“, auf Deutsch „Erinnerung des
Volkes“. Interessierte Laien wie Fachleute sollen die Webseiten nutzen.
Dort schildern mehrere hundert Menschen in Ton und Schrift und manchmal
auch per Video ihre Schicksale aus Nazi-Herrschaft, Zweitem Weltkrieg oder
aus der Zeit des Kommunismus. Initiiert hat die Webseite der Verein Post
bellum – ein Zusammenschluss von Historikern und Journalisten. Partner
sind der Tschechische Rundfunk und das Institut für das Studium
totalitärer Regime.
„Sie sind schnurstracks auf den Berg hinaufgegangen. Dann fielen zwei
Schüsse und sie kommen ohne Karl zurück“, so ein Ausschnitt aus einer
der Zeitzeugen-Aussagen. Eine Deutsch-Böhmin schildert einen Mord während
der so genannten wilden Vertreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakei.
Die meisten Originaltöne auf der Webseite
www.pametnaroda.cz (oder:
www.memoryofnation.eu) sind jedoch auf Tschechisch. Vor acht Jahren begann
der Verein Post bellum diese zu sammeln. Anfangs konzentrierte er sich auf
die Lebensgeschichten von Veteranen aus dem Zweiten Weltkrieg.
„Dadurch ist ein ziemlich großes Projekt entstanden. Mittlerweile hat
Post bellum als Träger des Projekts etwa 800 Aufnahmen mitgeschnitten. Vor
zwei Jahren ist Mikuláš Kroupa, der Chef von Post bellum, dann auf die
Idee gekommen, ein Internet-Projekt zu gründen. Die Sammlung von
Zeitzeugen-Interviews bildet nun die Basis des Internetportals. Es sind
Aussagen von Kriegsveteranen, politischen Gefangenen aus den 50er Jahren,
Menschen, die die sowjetische Invasion von 1968 erlebt haben. Langsam
bewegen wir uns in der Zeit voran und kommen zu den jüngeren Zeitzeugen,
also denen aus den 70er und 80er Jahren“, sagt Ladislav Lindner-Kylar vom
Tschechischen Rundfunk.
Lindner-Kylar half dem Projekt mit auf die Beine. Die Audio-Mitschnitte
werden ergänzt durch zeitgenössische Fotografien und die Lebensläufe der
Zeitzeugen. Alles Mündliche und Schriftliche ist auch ins Englische
übersetzt, denn das Projekt hat zwar tschechische Träger, soll aber
europaweit funktionieren. 15 Institutionen aus acht Ländern arbeiten
bereits mit. Sie haben sich zusammengeschlossen zur – übersetzt -
Europäischen Gemeinschaft der Erinnerung. Neue Mitglieder sind willkommen,
egal ob wissenschaftliche Institution, Schule, Einzelperson oder andere.
Schon demnächst soll die Zeitzeugen-Sammlung anwachsen, wie Mikuláš
Kroupa, der Leiter von Post bellum, sagt:
„Wir rechnen damit, dass Anfang 2009 unsere Partner aus der
Europäischen Union die Webseiten mit ihren eigenen Zeitzeugen-Sammlungen
in den jeweiligen Sprachen ergänzen. Wir haben keine Absprache über die
genaue Zahl an Zeitzeugen-Aussagen, die wir in unser Projekt aufnehmen
wollen. Unsere Vorstellung ist jedoch, innerhalb der nächsten drei Jahre
rund 5000 solcher Interviews zu haben.“
In 14 Tagen werden sich die Projektpartner in Prag erstmals zu einem
Fach-Symposium treffen.
Source: Czech Radio 7, Radio Prague
URL: http://www.radio.cz/de/artikel/109802
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