[20.10.2008] - Tagesecho - Daniel Kortschak
Kreis- und Senatswahlen bringen politischen Farbenwechsel
Die Kreis- und Senatswahlen haben am Wochenende in Tschechien ein
politisches Erdbeben ausgelöst. Die Sozialdemokraten fuhren einen klaren
Sieg ein, die regierende Koalition aus Bürgerdemokraten, Christdemokraten
und Grünen wurde von den Wählern regelrecht abgestraft. Daniel Kortschak
fasst ein „heißes“ Wahlwochenende zusammen.
Die politische Landkarte erstrahlt in ODS-blau, einzig der Südmährische
Kreis glänzt im Gelb der Christdemokraten. Das war im Jahr 2004. An diesem
Wochenende haben sich die politischen Verhältnisse in Tschechien
gründlich gewandelt. Dreizehn von dreizehn Landkreisen sind nun
grellorange eingefärbt: Die Sozialdemokraten (ČSSD) liegen überall auf
Platz eins, die Bürgerdemokraten (ODS) verlieren alle ihre bisher zwölf
Kreishauptmänner. Tschechiens Premierminister und ODS-Parteichef Mirek
Topolánek gab sich entsprechend zerknirscht
„Ich sehe diese Niederlage als sehr schmerzlich an. Aber trotzdem ist
sie nicht so stark wie die Niederlage der Sozialdemokraten vor vier Jahren.
Es kommt jetzt zu einer Umfärbung der regionalen politischen Landkarte
nicht aber der gesamtstaatlichen.“
Sozialdemokraten-Chef Jiří Paroubek zeigte sich erfreut und auch ein
klein wenig überrascht über die Deutlichkeit des Wahlsieges. An seiner
Partei liegt es nun, in den dreizehn Landkreisen die
Regierungsverhandlungen zu beginnen. Was die möglichen Koalitionsvarianten
betrifft, äußerte Paroubek klare Präferenzen:
„Vorzugsweise mit den Christdemokraten oder auch mit den Kommunisten.
Wir suchen vor allem nach inhaltlicher Übereinstimmung. Die zu finden ist
jetzt Aufgabe unserer Kreisorganisationen. Am wenigsten wahrscheinlich ist
natürlich, dass wir eine Koaltion mit der ODS eingehen.“
Für die Christdemokratische Volkspartei KDU-ČSL kommt das Wahlergebnis
ebenfalls einer Niederlage gleich. Den einzigen Kreishauptmann in Brünn
verlor man an die Sozialdemokraten und die Stimmenanteile gingen im
Landesdurchschnitt um rund vier Prozent zurück. Parteichef und Vizepremier
Jiří Čunek zeigte sich im Tschechischen Fernsehen dementsprechend
enttäuscht:
„Das ist kein Erfolg. Fakt ist aber, wenn wir auf die Gesamtzahl der
Stimmen schauen, zeigt sich, dass wir fast gleich viele bekommen haben wie
vor vier Jahren. Unsere Stammwähler, die uns damals ihre Zustimmung
gegeben haben, haben uns auch diesmal unterstützt.“
Der Misserfolg der Christdemokraten ist also auf die gestiegene
Wahlbeteiligung zurückzuführen. Kam 2004 nicht einmal ein Drittel der
Wahlberechtigten zu den Urnen, nahmen diesmal gut 40 Prozent von ihrem
Wahlrecht Gebrauch. Auch die Kommunisten sehen dies als Grund für ihre
leichten Stimmenverluste. Parteichef Vojtěch Filip:
„Das liegt ganz sicher auch an der höheren Wahlbeteiligung. Aber
andererseits haben wir in absoluten Zahlen mehr Stimmen bekommen als 2004.
Und vor allem ist das eine deutliche Steigerung gegenüber den
Parlamentswahlen von 2006.“
Schwer geschlagen geben mussten sich auch die Grünen. Sie kamen auf
landesweit nur rund drei Prozent und sind in keinem Regionalparlament
vertreten. Ein hörbar enttäuschter Parteichef und Umweltminister Martin
Bursík sucht nach den Ursachen:
„Wir haben erwartet, in allen Kreisen erfolgreich zu sein. Das Ergebnis
überrascht uns. Ich denke, viele unserer Sympathisanten sind erst gar
nicht zur Wahl gekommen. Die aufgeheizte Atmosphäre im Wahlkampf war nicht
zu unserem Vorteil. Wir konnten uns nicht als Konkurrenz zu den großen
Parteien positionieren.“
Die Sozialdemokraten haben die Regionalwahlen stets als Referendum über
die Regierung Topolánek betrachtet. Nach ihrem Wahlerfolg sehen sie nun
den Sturz der Koalition als ihren Auftrag an. Jiří Paroubek forderte
Permier Topolánek unmittelbar nach der Wahl zum Rücktritt auf, dieser
lehnte jedoch ab.
Mit Spannung erwartet wird nun das von den Sozialdemokraten bereits vor
den Wahlen beantragte Misstrauensvotum im Abgeordnetenhaus. Angesichts der
äußerst knappen Mehrheitsverhältnisse und einiger fraktionsloser
Abgeordneter ist das Schicksal des Kabinetts Topolanek völlig offen.
Source: Czech Radio 7, Radio Prague
URL: http://www.radio.cz/de/artikel/109516
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