[16.09.2008] - Aus dem Tonarchiv - Christian Rühmkorf
„Das Gebot der Stunde“ – Sozialdemokrat Wenzel Jaksch mahnt am 16. September 1938 zum Frieden
In unserer heutigen Folge von „Aus dem Tonarchiv“ führen wir Sie in das Jahr 1938. Am 16. September 1938, also genau vor 70 Jahren, spitzte sich die Sudetenkrise zwischen dem Deutschen Reich und der Tschechoslowakei zu. Konrad Henlein, Hitlers verlängerter Arm und Führer der Sudetendeutschen Partei, plante den Zusammenbruch des deutsch-tschechischen Zusammenlebens in einem Staat. Sein Widerpart, der sudetendeutsche Sozialdemokrat Wenzel Jaksch, kämpfte auf verlorenem Posten um Verständigung.
Wenzel Jaksch (Foto: ČTK) Wenzel Jaksch (Foto: ČTK)
„Das Gebot der Stunde ist Besinnung. Lassen wir uns nicht einreden, dass das eine Volk nur aus Teufeln besteht und das andere nur aus Engeln. Ob uns eine deutsche oder eine tschechische Mutter geboren hat – vergessen wir nicht, dass wir auch Menschen sind.“
Prag, 16. September1938. Im Tschechoslowakischen Rundfunk spricht der sudetendeutsche Sozialdemokrat und Abgeordnete Wenzel Jaksch. Und zwar als Vorsitzender der DSAP, der Deutschen sozialdemokratischen Arbeiterpartei. Es ist die Zeit, in der sein sudetendeutscher Widerpart, der Führer der Sudetendeutschen Partei und Hitlercherge, Konrad Henlein, alles tut, um den Nationalitäten-Konflikt mit dem tschechoslowakischen Staat auf die Spitze zu treiben. Die Regierung reagiert mit Standrecht in sudetendeutschen Bezirken und an diesem Tag, dem 16. September 1938, verbietet sie schließlich die radikale Sudetendeutsche Partei. Ihr Chef, Konrad Henlein, wird steckbrieflich gesucht und flüchtet ins Deutsche Reich. Im Hintergrund verhandeln die Europäischen Großmächte bereits mit dem nationalsozialistischen Deutschland über eine Abtretung der Sudetengebiete an das Deutsche Reich. Wenzel Jaksch tritt mit mahnenden Worten für eine Verständigung zwischen den Deutschen und den Tschechen auf tschechoslowakischem Boden ein. Geleitet vom fernen Gedanken eines geeinten Europas.
„Die Zeit ist gekommen, in der das Zurückweichen und das Menschen verbindende Wollen obsiegen muss. Die Sache, die uns alle angeht, steht einfach so: Tschechen und Deutsche können einander nicht ausrotten. Jede Nation hat ihre Schwächen, aber auch ihre Vorzüge. So oder so müssen endlich die Formen eines ehrenvollen, friedlichen Zusammenlebens der Nationen gefunden werden. Nicht nur bei uns im Lande, sondern in ganz Europa. Die Blicke einer besorgten Welt sind auf unser unglückliches Grenzland gerichtet. Wird hier die Flamme eines neuen Weltbrandes zuerst aufzüngeln oder wird von uns aus eine Botschaft des Friedens durch die Länder gehen? Das ist die bange Frage, die auf aller Lippen schwebt. An uns liegt es, sie zu beantworten. Die Sudetendeutschen können sich mit goldenen Lettern in die Geschichte unseres Zeitalters einzeichnen, wenn sie in historischer Stunde den Frieden bejahen. Wir können dem eigenen Volke und den Völkern Europas einen gewaltigen Dienst erweisen, indem wir der Hoffnung auf die Gewalt entsagen und die Stimme der Menschlichkeit wieder hell aufklingen lassen in diesen Tagen. Wahrlich - auch das tschechische Volk braucht den Frieden und ich sage offen an seine Adresse, dass es diesen Frieden durch Verzicht auf alle Methoden erkaufen muss, welche die deutschen Mitbürger als Zurücksetzung empfunden haben. Möge dieser große Augenblick nicht ungenützt vergeudet werden. Welch ein Segen für das Land, wenn es gelänge, es zum Ausgangspunkt einer neuen Epoche des europäischen Friedens zu machen. Der Schlüssel dazu liegt in unserer Hand. Wo ein Wille, da ein Weg.“
Wo ein Wille, da ein Weg – diese Hoffnung, die Wenzel Jaksch am 16. September 1938 über den Rundfunk vor allem seinen sudetendeutschen Landsleuten zurief, diese Hoffnung wurde enttäuscht. Am 30. September 1938 unterzeichneten Frankreich, England, Italien und Deutschland ohne Beisein der Tschechoslowakei, das so genannte Münchener Abkommen. Die Sudetengebiete wurden Deutschland zugesprochen. Wenzel Jaksch musste als Sozialdemokrat und Hitlergegner fliehen und ging ins Exil nach London, wo er sich weiter um Verständigung mit der tschechoslowakischen Exilregierung bemühte. Es galt eine Vertreibung der deutschen Bevölkerung nach dem Krieg zu verhindern.


Source: Czech Radio 7, Radio Prague
URL: http://www.radio.cz/de/artikel/108334
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