[15.09.2008] - Schauplatz - Daniel Kortschak
Konferenz „Vergesssene Helden“ in Ústí nad Labem
Ende vergangener Woche fand in Ústí nad Labem / Aussig eine zweitägige
Konferenz unter dem Titel „Zapomenutí hrdinové“ / „Vergessene
Helden“ statt. Die Tagung befasste sich dem Schicksal jener
Sudetendeutschen, die sich aktiv gegen die Okkupation von Teilen der
Tschechoslowakei durch Nazi-Deutschland gewehrt hatten. Trotzdem mussten
auch die meisten dieser „Helden“ nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs
das Land verlassen. Neben zahlreichen Fachleuten nahmen auch
Spitzenpolitiker aus Deutschland und Tschechien an der Konferenz teil.
Radio Prag war dabei.
Die vergangenen Donnerstag eröffnete Konferenz bildet den Abschluss eines
mehrjährigen Forschungsprojekts. Beschlossen hat es im August 2005 die
damalige tschechische Regierung unter der Führung des sozialdemokratischen
Premierministers Jiří Paroubek. Mit der Durchführung beauftragt wurde
das Institut für Zeitgeschichte der Tschechischen Akademie der
Wissenschaften. Realisiert wurde es gemeinsam mit Partnerinstitutionen wie
zum Beispiel der Universität Ústí nad Labem, dem Städtischen Museum
Ústí und dem Collegium Bohemicum. Den Ablauf der Forschungsarbeit
erläutert der Leiter des Instituts für Zeitgeschichte, Oldřich Tůma:
„Ganz zu Beginn des Projektes stand eine umfassende
Informationskampagne. Sie hatte zum Ziel, Zeitzeugen zu finden, die uns
Historikern Ihre Erlebnisse schildern konnten. Dank dieses Aufrufs haben
uns insgesamt 130 Zeitzeugen kontaktiert. Wir haben mit ihnen Interviews
aufgenommen oder sie haben uns historische Fotos und Dokumente gegeben. In
Zusammenarbeit mit dem Nationalarchiv haben wir eine Datenbank dieser
sudetendeutschen Widerstandskämpfer angelegt. Heute umfasst sie mehr als
110.000 Einträge zu den einzelnen Personen.“
Auch für eine umfassende Präsentation der Projekte hat man gesorgt.
„Im Rahmen des Projektes sind bisher neun Publikationen verschiedenster
Art erschienen. Das ist aber sicher noch nicht die endgültige Anzahl. Ein
sehr wichtiger Bestandteil ist auch die ständige Ausstellung im Museum in
Ústí, die die Ergebnisse präsentiert. In diesem und im vergangenen Jahr
ging auch eine Wanderausstellung zum Thema ‚Vergessene Helden‘ durch
verschiedene Orte.“
Ein weiterer Teil des Projekts war ein Programm für Grund- und
Mittelschulen, das ingesamt 56 Schulprojekte zum Thema „Vergessene
Helden“ unterstützt hat. Außerdem wurde mit Mitteln des
Forschungsprojektes die Produktion von drei Dokumentarfilmen unterstützt.
Zudem haben die Wissenschafter eine Internetseite gestaltet, auf der alle
Forschungsergebnisse abrufbar sind.
An der Eröffnung nahmen Spitzenpolitiker aus Deutschland und Tschechien
teil, unter anderem die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Susanne
Kastner, der tschechische Außenminister Karel Schwarzeberg, der
tschechische Staatsminister und Vorsitzende des Legislativrates, Cyril
Svoboda und der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich. Gekommen
waren auch der deutsche Botschafter Helmut Elfenkämper und seine
österreichische Amtskollegin, Margot Klestil-Löffler. Sie strich im
Radio-Prag Gespräch die Bedeutung der Konferenz für die Beziehungen
zwischen beiden Ländern hervor:
„Sie wissen ja, dass das Projekt auch iniitiert wurde vom damaligen
Bürgermeispter von Ústí nad Labem Petr Gandalovič, der heute
Landwirtschaftsminister ist. Ich habe es von Anfang an sehr unterstützt.
Ich war auch bei den Veranstaltungen immer dabei. Ich glaube, wir sollten
Petr Gandalovič dafür danken, dass er diese mutige Idee hatte, dieses
Projekt auf die Beine zu stellen. Das ist für die Österreicher genau so
wichtig wie für die Deutschen. Es geht um unsere gemeinsame Vergangenheit,
die wir auch gemeinsam bewältigen müssen. Wir hatten immer auch
Vortragende aus Österreich dabei, auch im Vorjahr. Wir unterstützen das
Projekt und unsere Anwesenheit heute zeigt ja auch, dass wir voll
mitmachen.“
Der tschechische Außenminister Karel Schwarzenberg hob ebenfalls die
Bedeutung des Projektes für die Aufarbeitung der gemeinsamen Vergangenheit
hervor. Ganz dem Anlass entsprechend, gab Schwarzenberg seine Interviews
zweisprachig.
„Das Projekt ist ein positiver Beitrag zu den tschechisch-deutschen
Beziehungen. Es ist wichtig, dass wir an die deutschen Bürger der
Tschechoslowakei erinnern, die sich gegen Hitler gestellt haben. Vor allem
aber müssen wir uns hier in Tschechien in Erinnerung rufen, dass wir
damals nicht alleine waren. Dass es unter unseren deutschen Mitbürgern
Menschen gab, die auf derselben Seite der Barrikaden standen. Sie haben
besonders große Tapferkeit gezeigt, weil sie oft alleine dastanden. Diesen
Mut können wir gar nicht hoch genug auszeichnen. Es ist auch eine Sache
des eigenen Gewissens. Ich habe als Kind selbst erlebt, dass man sagte:
Alle Deutschen sind schuldig. Wir müssen alle vertreiben und so weiter.
Wir sollten endlich auch darüber nachdenken. Wissen Sie, ich gehöre noch
zu jener Generation, die dies selbst erlebt hat. Daher weiß ich, dass
leider nach dem Krieg gesagt wurden, dass wir alle in unserem Denken vom
Nazismus angesteckt waren.“
Herr Minister, glauben Sie, dass dieses Projekt auch die
österreichisch-tschechischen Beziehungen positiv beeinflussen wird?
„Ich glaube ja, weil natürlich die damalige Sozialdemokratie sehr
innige Beziehungen mit der österreichischen Sozialdemokratie gehabt hat.
Wir dürfen nicht vergessen, die meisten Führer der österreichischen
Sozialdemokratie stammten aus den böhmischen Ländern. Das wird heute sehr
vergessen. Ob es Karl Renner war, ob es Viktor Adler war et cetera et
cetera. Da war dieser Einfluss sehr bedeutend. Und natürlich haben diese
Parteien sehr eng zusammengearbeitet.“
Dieses Projekt wird also jetzt die Beziehungen jetzt vertiefen,
verbessern? Es gibt ja Probleme...
„Ich hoffe es. Aber wie ich gesagt habe, es dient - glaube ich - vor
allem dazu, dass wir im Lande selber etwas gründlicher über unsere
Vergangenheit nachdenken.“
Der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich sorgte anlässlich
der Eröffnung für Aufsehen und spontanen Applaus, als er seine
Begrüßungsworte auf Tschechisch sprach. Im Radio-Prag-Interview erklärt
er die Gründe dafür.
Herr Ministerpräsident, Sie sind wohl der erste sächsische
Regierungschef, der Tschechisch spricht. Was bedeutet für Sie ganz
persönlich der Besuch heute hier in Ústí und wie sind Ihre persönlichen
Beziehungen zu Tschechien?
„Also ich bin in der Tat sehr gerne in Tschechien. Ich habe über
Jahrzehnte Freunde in Tschechien gehabt. Meine Eltern haben ihre
Berufsausbildung beziehungsweise ihr Studium teilweise in Tschechien
absolviert und abgeschlossen. Das war kurz nach dem Ende des Zweiten
Weltkrieges. Auch familiär ist also eine Beziehung entstanden, die sich
über Jahrzehnte gehalten hat. Jetzt als Ministerpräsident ist es für
mich natürlich eine besondere Freude, mit dieser persönlichen Erfahrung
einen Beitrag zur Entwicklung der gutnachbarschaftlichen Beziehungen zu
leisten. Das ist mir ein Herzensanliegen.“
Wie sehen Sie diese nachbarschaftlichen Beziehungen? Die wirtschaftlichen
Beziehungen florieren, das haben Sie zuvor gesagt haben. Wie sieht es mit
den politischen Beziehungen aus. Sehen Sie irgendwo Schwierigkeiten?
„Ich glaube, dass die sächsisch-tschechischen Beziehungen
wahrscheinlich von allen Regionen in Deutschland die besten sind. Sie haben
sich in der ganzen Phase seit 1990 immer durchaus wohltuend von den damals
manchmal beschwerten deutsch-tschechischen Beziehungen abgehoben haben,
indem sie immer konstant funktioniert haben und auf einer guten und soliden
Basis praktiziert worden sind.“
Der Dauerbrenner in den tschechisch-deutschen, in den
tschechisch-österreichischen Beziehungen, die Beneš-Dekrete und die
vielen Diskussionen darüber sind in Sachsen nicht mehr aktuell?
„Wir wissen damit vernünftig umzugehen und auch das zu respektieren,
was die tschechische Seite im Umgang mit diesen Dekreten für sich in
Anspruch nimmt. Ich glaube, wenn man einander respektvoll begegnet, ist das
eine gute Voraussetzung dafür, auch über ein so schwieriges Thema
miteinander zu sprechen.“
Source: Czech Radio 7, Radio Prague
URL: http://www.radio.cz/de/artikel/108267
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