[23.07.2008] - Tagesecho - Lothar Martin
Kopie des Münchner Abkommens wird neuerdings im Prager Senat aufbewahrt
Am Dienstag ist zum ersten Male eine Kopie des deutschen Originals des
Münchner Abkommens aus dem Jahr 1938 in Prag eingetroffen. Im
Kolowrat-Palais, einem heutigen Teilgebäude des tschechischen Senats, ist
sie von Historikern an den Senatsvorsitzenden Přemysl Sobotka übergeben
worden. Und an diesem geschichtsträchtigen Ort wird sie in Zukunft auch
aufbewahrt werden.
„Mit ihm ist de facto die damalige Welt für die Tschechoslowakei
zusammengebrochen“, fasst Sobotka die schwerwiegende Bedeutung jenes
Dokuments zusammen, das auf seine Weise auch ein böser Vorbote des nur
knapp ein Jahr später beginnenden Zweiten Weltkriegs war.
Die Rede ist von jenem Abkommen, das im tschechischen Sprachgebrauch
allgemein auch als Münchner Diktat bezeichnet wird. Aus klarem Grund: Im
Münchner Abkommen wurde seinerzeit die Abtretung des Sudetengebiets an das
Deutsche Reich festgelegt. Das bedeutete: Die vier Großmächte hatten per
Unterschrift besiegelt, dass die Tschechoslowakei ein Drittel ihres
Territoriums, 40 Prozent ihrer Industrie und fast fünf Millionen Einwohner
den Deutschen zu überlassen habe.
„Die Tschechoslowakei hatte aber nicht nur an Territorium und an
Bevölkerung, sondern insbesondere eine große Illusion verloren“, betont
der Historiker des Militärhistorischen Instituts in Prag, Jan Boris
Uhlíř. Er verweist damit zugleich auf die große Enttäuschung, die man
in der damaligen Tschechoslowakei gegenüber den Westmächten hatte. Kein
Politiker des Landes war zu deren Verhandlungen geladen worden. Im
Gegenteil: Erst im Grünen Salon des Kolowrat-Palais, dem
tschechoslowakische Regierungssitz der Ersten und Zweiten Republik, sind
die Minister des Beneš-Kabinetts mit dem Inhalt des niederschmetternden
Dokuments in Kenntnis gesetzt worden. Anstelle einer Kopie des Abkommens
bekamen sie jedoch nur eine Liste in die Hand gedrückt mit Forderungen,
was die Tschechoslowakei ab jetzt zu tun habe.
Heute, 70 Jahre nach den Ereignissen vom Herbst 1938, wollen der Senat,
das Militärhistorische Institut und das Prager Nationalmuseum in einer
gemeinsamen Sonderausstellung, an die schicksalhafte Zeit erinnern.
„Wir hatten uns eigentlich gewünscht, dass wir für diese Ausstellung
ein historisches Original des Abkommens erhalten. Die deutsche Seite will
aber bislang nicht darauf eingehen“, schildert Aleš Knížek, der
Direktor des Militärhistorischen Instituts, die Bemühungen der
Organisatoren, für eine möglichst einmalige Exposition zu sorgen. Die
Kopie, die dort zu sehen sein wird, stammt übrigens aus dem Archiv des
deutschen Bundesaußenministeriums. Nach Beendigung der Ausstellung wird
die Kopie ihren festen Platz an historischer Stätte erhalten – im
Grünen Salon des Kolowrat-Palais. Dort kann sie jeder Interessierte stets
zu den Tagen der offenen Tür in Augenschein nehmen. Und auch er wird dann
sicher feststellen: Das Dokument wurde in großen Lettern auf einer
speziellen Schreibmaschine geschrieben. Der Grund war Hitlers Sehschwäche.
Um sein Image zu wahren, hat sich Hitler nie als Brillenträger in der
Öffentlichkeit gezeigt.
Die Ausstellung über die Erste Republik der Tschechoslowakei, in der auch
die Kopie des Münchner Abkommens zu sehen ist, wird am 28. Oktober im
Prager Nationalmuseum eröffnet.
Source: Czech Radio 7, Radio Prague
URL: http://www.radio.cz/de/artikel/106424
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