[05.07.2008] - Kapitel aus der Tschechischen Geschichte - Anne Lungova
Reise in die Vergangenheit – das Erbe der Chroniken im Kreis Tachov
In Tschechien hat die Ferienzeit begonnen. Der Kreis Tachov / Tachau im westböhmischen Grenzgebiet gehört zu den beliebten Urlaubszielen für all jene, die Interesse an Natur, Kultur und Geschichte haben. Wer Lust hat, sich auf eine besondere Entdeckungsreise zu begeben, sollte das Staatliche Bezirksarchiv in Tachov besuchen, um mehr über die Besonderheiten der Region zu erfahren. In den ehemals von Deutschen besiedelten Ortschaften des Kreises hat sich vor allem in Folge des Zweiten Weltkriegs und der kommunistischen Herrschaft ein großer Wandel vollzogen. Diesem Wandel nachzugehen, kann mit Hilfe eines Experten zu einer spannenden Reise in die Vergangenheit werden. Wertvolles Erbe der Geschichte sind dabei die zahlreich erhaltenen Chroniken, die von der bewegten Geschichte der Region erzählen.
Bei der Autofahrt durch die Ortschaften Planá / Plan, Boněnov / Punnau oder Michalovy Hory / Michelsberg wechseln sich reizvolle Landschaften und Feriendomizile mit halbzerfallenen Kirchen und verlassenen Häuserruinen ab. Einige Ortschaften – wie etwa der Ort Výškovice (Wischkowitz
Ergänzung Webmaster)– sind bis auf wenige Bauten ganz verschwunden. Wer etwas über die Geschichte der Region erfahren möchte, ist auf Kenner der Region oder auf die wenigen verbliebenen Zeitzeugen angewiesen. Einer von ihnen, der über 80-jährige Friedrich Altmann, erinnert sich:
„Ich bin gebürtiger Deutscher aus Michalovy Hory. Ich bin hier geblieben, weil die Eltern Spezialisten waren. Ich war in der Armee und kam im Jahr 1945 nach Hause. In den 50er Jahren habe ich hier in der Papierfabrik gearbeitet, die aufgelöst wurde und aus der ein nationaler Betrieb wurde, und bin dann auf den staatlichen Hof nach Chodová Planá (Kuttenplan Ergänzung Webmaster) gegangen, der in den folgenden Jahren entstand. Anschließend war ich Verwalter für die Region Výškovice, Boněnov, Hostíčkov (Hetschigau Ergänzung Webmaster) und Michalovy Hory.“
Es sei ihm, so Friedrich Altmann, der seit vielen Jahren nur noch
tschechisch spricht, nicht bekannt, ob Dokumente, darunter etwa die
Dorfchronik aus dem aufgelösten Dorf Výškovice erhalten geblieben seien:
„Damals im Jahr 1945 wurde alles, was den Deutschen gehörte, hinters
Dorf gebracht und verbrannt. Die Leute, die nach dem Jahr 1945 hierher
kamen, wussten nicht, welche Dinge von den Deutschen verbrannt wurden.“
Dass auch die Dorfchronik den Flammen zum Opfer fiel, lässt sich deswegen
nicht mit Bestimmtheit sagen. Es ist durchaus möglich, dass in einigen
Ortschaften eine solche auch gar nicht geführt wurde, wie der Direktor des
Staatlichen Bezirksarchivs in Tachov, Jan Edl, erläutert:
„Das Gesetz Nummer 80 aus dem Jahr 1920 über Gedenkbücher, das aus nur
vier Paragraphen besteht, sagt, dass jede Gemeinde verpflichtet ist, ein
Gedenkbuch anzulegen und zu führen. Die Verpflichtung gab es, aber
natürlich hat das keiner eingefordert. Das heißt, wenn eine Gemeinde
keine Chronik führen wollte, hat sie eben keine Chronik geführt.“
Wie viele der 213 Gemeinden im Kreis Tachov eine Chronik geführt haben,
lässt sich immerhin schätzen. Etwa die Hälfte, maximal zwei Drittel des
Bestandes liegen heute in den gut gesicherten Räumen des Archivs und
können auf Anfrage eingesehen werden. Die Reihe der Chroniken, die von den
Ereignissen in den ehemals von Deutschen besiedelten Städten und Dörfern
berichten, haben beim Weggang der Deutschen nach 1945 unterschiedliche
Schicksale erfahren. Manche habe man nur in schwer beschädigtem Zustand
und kaum leserlich wieder gefunden, andere Chroniken hatten für die
ehemaligen deutschen Einwohner einen hohen Erinnerungswert und wurden nach
Deutschland mitgenommen, so Jan Edl.
Auch an den Chroniken, die im Archiv von Tachov erhalten sind, ist die Zeit des Zweiten Weltkrieges nicht spurlos vorübergegangen. Erhalten sind die von den Nationalsozialisten herausgegebenen, vorgedruckten Chroniken mit dem Titel „Unser Dorfbuch“, die mit der Eintragung der im Ersten Weltkrieg gefallenen Soldaten begannen und ab 1940 die ursprünglichen Chroniken ersetzen sollten. Nur dort, wo die alten Chroniken fortgeführt wurden, wird die politische Lage jener Zeit deutlich – beispielsweise, wie die deutsche Bevölkerung die Ankunft der deutschen Besatzer begrüßt. Jan Edl:
„In den Chroniken, in denen der Zeitraum erhalten ist, ist meistens die
erste Begeisterung zu erkennen. Doch bereits um das Jahr 1942 herum - und
nach Stalingrad dann definitiv - sind die Ernüchterung und die Ängste vor
dem, was kommen wird, heraus zu erkennen, weil es auf der Hand lag, dass
der Krieg verloren geht.“
Das Ende des Zweiten Weltkrieges brachte auch das Ende der in deutscher
Sprache geschriebenen Chroniken mit sich. Die Gesetzestexte und
Bekanntmachungen zum Erstellen der Chroniken aus den Jahren 1920 und 1932
waren noch zweisprachig verfasst – deutsch und tschechisch. Nach dem
Weggang der deutschen Bevölkerung, die über 90 Prozent im Kreis Tachov
ausgemacht hatte, wurde nur noch die tschechische Sprache als alleinige
Amtssprache anerkannt. In den kleineren Ortschaften waren es meistens
Lehrer, die die zeitlich aufwendige Arbeit des Chronisten übernahmen und
handschriftlich mit Tinte die Geschichte des Ortes und ihrer Ereignisse
festhielten. Dass es bereits in den 50er Jahren der kommunistischen
Herrschaft zu Unstimmigkeiten in den neu besiedelten Gemeinden kam, hat der
Chronist der Ortschaft Obora festgehalten. Dort haben sich die Einwohner
gegen die Einführung des russischen Weihnachtsbrauchs gewehrt:
„In diesem Jahr ist erstmals in unserer Gemeinde ein Weihnachtsbaum
aufgestellt worden. Der Baum wurde von der Vereinigung der tschechischen
Jugend aufgestellt, aber zur geplanten Aktion „Väterchen Frost“ kam es
nicht, aufgrund des Widerstandes der angesiedelten Bewohner. Wahrscheinlich
sahen sie darin einen Eingriff in ihre orthodoxe Religionszugehörigkeit
und sie waren nicht bereit ihr Christkind gegen einen „frierenden Opa“
einzutauschen, wie sie das Väterchen Frost benannten.“
Die Vielzahl der Begebenheiten und Informationen, die festgehalten wurden,
ist vor allem den unterschiedlichen Arten der Chroniken zu verdanken. So
erfahren wir aus den Schulchroniken etwas über das Bildungswesen und die
Pfarrchroniken berichten über das Leben im Pfarrbezirk. Zudem führte fast
jeder Verein eine eigene Chronik wie zum Beispiel die freiwillige
Feuerwehr, die Sportvereine, ehemalige sozialistische Arbeitsgemeinschaften
oder Pionierverbände. Eine der eindruckvollsten Chroniken aus dem Kreis
Tachov ist die der kleinen Ortschaft Kříženec / Kiesenreuth aus dem
Jahre 1925, die sich, so Jan Edl, durch ihre besondere Gestaltung
auszeichnet:
„In ihr ist mit Farben, die auf Papier halten und es nicht zerstören,
festgehalten, wo die Herrschaft gesiedelt hat und wer dem Geschlecht
Kříženec angehörte. Dazu kommt ein Verzeichnis von Karten der
Herrschaft Kříženec aus dem Jahre 1839 und von verschiedenen Siedlungen und Mühlen sowie die Wappen von Schlick und Žeberk, (Seeberg Ergänzung Webmaster) denen die Herrschaft in Planá gehörte.“
Dorfchroniken werden aber auch heute geführt. 2006 wurde ein neues Gesetz
verabschiedet, das dies den Gemeinden erneut zur Pflicht gemacht hat. Im
Gesetzestext heißt es, dass Chroniken vor allem einen Zweck erfüllen
sollen: Nachrichten über erinnerungswürdige Ereignisse der Gemeinde
festzuhalten, um zukünftige Generationen zu informieren und zu belehren.
Mit der Fortschreibung der Chroniken dürften diese erneut zu einem
wertvollen Erbe der Geschichte werden.
Source: Czech Radio 7, Radio Prague
URL: http://www.radio.cz/de/artikel/105833
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