[26.06.2008] - Tagesecho - Lothar Martin
Topolánek: „Prager Frühling“ führte als Kulturbewegung zur gesellschaftlichen Entspannung
Am Mittwoch hatten die Botschaften Tschechiens und der Slowakei im Berliner
Konzerthaus zu einem Festakt geladen, der dem 40. Jahrestag des Prager
Frühlings gewidmet war. An der Festveranstaltung, die an die
zwischenzeitliche Reformbewegung in der ehemaligen Tschechoslowakei im Jahr
1968 erinnerte, nahmen unter anderen die deutsche Bundeskanzlerin Angela
Merkel sowie die Premierminister Tschechiens und der Slowakei, Mirek
Topolánek und Robert Fico teil. Radio Prag hat darüber mit dem
Deutschland-Korrespondenten des Tschechischen Rundfunks, Jiří Hošek,
gesprochen.
Herr Hošek, wie haben sich gerade die drei genannten Politiker zur
Bedeutung des Prager Frühlings geäußert?
„Der slowakische Premierminister Robert Fico hat ausdrücklich die
führenden politischen Persönlichkeiten des Prager Frühlings gelobt,
insbesondere Alexander Dubček. Er ist der Meinung, dass Dubček der erste
Politiker war, der das riesige Loch zwischen den Normalbürgern und den
Politikern gestopft hat, und dass Dubček auch der Politiker war, der dem
´Sozialismus mit menschlichem Antlitz´ in der Tat eine Realität gegeben
hat. Auf der anderen Seite ist zu sagen, dass Mirek Topolánek die
politische Bedeutung des Prager Frühlings gewissermaßen bezweifelt hat.
Er hat richtig betont, dass diese ganze Bewegung auf der politischen Ebene
als Streit zwischen unterschiedlichen kommunistischen Fraktionen begonnen
hat und dass das Vorhaben, den ´Sozialismus mit menschlichem Antlitz´ zu
schaffen, eigentlich geplatzt ist. Und zwar sehr früh, weil auch die
Kommunistische Partei ziemlich schnell offenbarte, dass sie sich im Grunde
genommen nicht reformieren kann. Das wichtigste Ergebnis des Prager
Frühlings sei daher, so Topolánek, die gesellschaftliche Entspannung
gewesen, die diese Bewegung mit sich brachte. Eine Entspannung, die die
Kommunistische Partei zum Beispiel dazu gezwungen hat, die Zensur in den
Medien aufzuheben.
Für Angela Merkel, das war deutlich zu sehen, ist der Prager Frühling
und der Einmarsch der ´Bruderarmeen´ eine ganz, ganz persönliche Sache.
Sie war damals 14 Jahre alt und hat die Sommerferien mit ihren Eltern und
Geschwistern im Riesengebirgsort Pec pod Sněžkou / Petzer verbracht. Sie
sei ziemlich begeistert gewesen von der Stimmung in der
tschechoslowakischen Gesellschaft, von den freien Diskussionen, die man
seinerzeit führen konnte, und von der Tatsache, dass man im Stadtzentrum
Prags westliche Tageszeitungen kaufen konnte. Angela Merkel sprach davon,
es sei für sie ein großer Schock gewesen, als sie von dem Einmarsch
erfahren hat. Als DDR-Bürgerin habe sie sich daher geschämt für die,
wenn auch indirekte Teilnahme der Nationalen Volksarmee (NVA) an dem
Einmarsch.“
Herr Topolánek hat über die Ereignisse von 1968 mehr von einer
Kulturbewegung als von einer politischen Bewegung gesprochen. Liegt er mit
dieser Einschätzung richtig oder hat er damit die Bedeutung des Prager
Frühlings nicht doch etwas heruntergespielt?
„Ganz persönlich gesprochen muss ich sagen: Ich teile diese Meinung.
Denn wenn man auf der politischen Ebene im Zusammenhang mit der Bewegung
des Prager Frühlings von Demokratisierung oder gar Demokratie spricht,
dann finde ich das ziemlich lächerlich. Das ist ein großer Irrtum! Die
führenden Persönlichkeiten des Prager Frühlings waren doch
Hardcore-Kommunisten und ich denke, damals wie auch heute, Kommunismus und
Demokratie sind einfach nicht kompatibel! Meiner Meinung nach lag die
Bedeutung des Prager Frühlings wirklich in dieser großen
gesellschaftlichen Entspannung.“
Source: Czech Radio 7, Radio Prague
URL: http://www.radio.cz/de/artikel/105540
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