[04.06.2008] - Tagesecho - Christian Rühmkorf
Kirche verkracht Koalition – Restitutionsgesetz auf Eis gelegt
Mit Zinsen sind es 270 Milliarden Kronen (10,8 Milliarden Euro), welche die
Kirchen vom tschechischen Staat als Ausgleich für die kommunistischen
Enteignungen erhalten sollen. Zahlbar über 60 Jahre. Dazu erhalten sie ein
Drittel des Eigentums zurück. Dieser Regierungsentwurf wurde durch
Koalitionsabgeordnete am Dienstag auf Eis gelegt.
Die Koalition könnte ihre ohnehin hauchdünne Mehrheit im Parlament
verlieren. Das war am Dienstag vielleicht das wichtigste Signal aus dem
Parlament. Dass die Mitte-Rechts-Koalition gerade an der Kirche scheitern
könnte, scheint in einem Land, wo weit mehr als die Hälfte der Bürger
atheistisch ist, erstaunlich.
Was war geschehen? Mit einer fieberhaften, knappen und mehrmals
angezweifelten Abstimmung hat der Koalitionsabgeordnete, der
Bürgerdemokrat Vlastimil Tlustý, die Debatte des
Kirchenrestitutiongesetzes von der Agenda des Parlaments gestrichen und
eine Untersuchungskommission durchgesetzt. Tlustý stand nicht nur die
Opposition zur Seite, sondern auch zwei weitere bürgerdemokratische
Abgeordnete, Jan Schwippel und Juraj Raninec.
„Vor allem hat sich heute gezeigt, dass die Vertreter der Koalition
nicht verhandeln wollen. Was an sich schon eine überraschende Erkenntnis
ist bei diesem Restitutionsbetrag. Ich bin froh, dass wir die Einrichtung
einer Kommission durchgesetzt haben. Da gibt es Raum für eine
Fachdiskussion, bei der die Leidenschaften runtergekocht werden können,
damit wir dem Ziel näher kommen. Also der Restitution der Kirche und der
Trennung von Staat und Kirche, die ich natürlich unterstütze.“
Für Tlustý und Co ist die Zahlung von 270 Milliarden Kronen inklusive
Zinsen über einen Zeitraum von 60 Jahren undurchschaubar und nicht
ausreichend begründet. Premier Mirek Topolánek will die Argumente seines
parteiinternen Gegners nicht gelten lassen:
„Wenn eine glasklare Restitution möglich wäre, dann hätte Tlustý sie
ja schon selbst in seiner Zeit als Finanzminister gemacht“, sagte
Topolánek. Mit dieser Aufschiebung werde es nun schwieriger, die
grundlegenden Prinzipien der vereinbarten Restitution zu retten.
Deutlicher in der Kritik wurde Bildungsminister und Grünen-Vize Ondřej
Liška:
„Das war überflüssig und die Koalition hat das geschwächt. Eine
Soloaktion des Abgeordneten Tlustý, mit der er sich an Finanzminister
Kalousek rächen wollte. Es handelt sich um Beleidigtsein, nicht um ein
sachliches Problem.“
Tlustý musste 2006 nach kurzer Amtszeit als Finanzminister sein Ressort
dem christdemokratischen Koalitionspartner und damit Miroslav Kalousek
überlassen. Nun gehört Tlustý zum schärfsten Gegner der Finanzreformen.
Die Kirchenrestitution ist jedenfalls mit der gestrigen Parlamentssitzung erst einmal auf Eis gelegt. Heißer werden dürften dagegen die Auseinandersetzungen innerhalb der Koalition, die sich keinen Stimmenverlust erlauben kann. Am Wochenende hatte Tlustý vor laufenden Kameras seinen Parteichef Topolánek scharf kritisiert hatte. Der Gescholtene teilte darauf den Journalisten mit, sie sollten doch bitte Tlustý nicht mehr als Repräsentant der Bürgerdemokraten aufführen. Eine solche Mitteilung in Richtung der beiden anderen Restitutionsflüchtlinge Schwippel und Raninec wird Topolánek sich wohl drei Mal überlegen.
Source: Czech Radio 7, Radio Prague
URL: http://www.radio.cz/de/artikel/104769
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