[12.04.2008] - Kapitel aus
der Tschechischen Geschichte - Anne Lungova
Verschwundenes Dorf in Westböhmen – Výškovice im Wandel der
Geschichte
Das Grenzgebiet in Westböhmen im Umkreis des bekannten
Kurortes Mariánské Lázně / Marienbad zeichnet sich durch seine besondere
geografische Lage und seine landschaftlichen Reize aus. Bekannt geworden durch
die heilenden Quellen, wurde es zum Kurzentrum für angesehene Gäste aus ganz
Europa, gehörte seit dem Mittelalter zu den kulturellen Hochburgen und stellte
eine wirtschaftlich bedeutende Verbindung zwischen Böhmen und den deutschen
Ländern dar. Im Sudetengebiet Westböhmens vollzog sich vor allem im vergangenen
Jahrhundert, in Folge des Zweiten Weltkrieges und der Übernahme durch die
kommunistische Herrschaft, ein großer Wandel. Wie folgenreich der Wandel für
seine Einwohner, das zeigt das Beispiel des verschwundenen Ortes Výškovice.
Nur
wenige Kilometer von Marienbad entfernt und unweit des Prämonstratenser-Klosters
Teplá, auf Deutsch Tepl, weist ein Verkehrsschild in Richtung der Ortschaft
Výškovice. Doch wer das Ortsschild passiert und am Ende einer langen Allee ein
Dorf erwartet, wird enttäuscht. Die 690 Meter hoch gelegene Ortschaft ist - bis
auf einen Hof und eine Kapelle - verschwunden. Von den ursprünglich acht in
Rundform angelegten Fachwerkhäusern und Höfen zeugen heute nur Reste von
Kellergewölben und Grundmauern. Der tschechische Ortsname Výškovice weist auf
den Ursprung des Dorfes bereits im 13. Jahrhundert hin, berichtet der
Regionalhistoriker und Kenner des Gebietes, Richard Švandrlík:
„Das Dorf wird bereits im Jahr 1251 erwähnt, und zwar in
der Urkunde der Herrschaften Vyško und Vyšmír von Vyškov, einer unweit gelegenen
Burg. Dem Text nach wurde die Ortschaft zweifellos von diesen Herrschaften
gegründet. Sie kam jedoch früh in den Besitz des Prämonstratenser-Klosters Tepl.
Im Jahr 1273 wird sie dann bereits in einer weiteren Urkunde in einem
Verzeichnis als Ortschaft geführt, die dem Prämonstratenser-Kloster Tepl
unterstellt ist.“
Die Nähe zum kulturellen Zentrum des Klosters verschaffte
den Einwohnern von Výškovice überdurchschnittlich gute Lebensverhältnisse.
Sicher auch ein Grund dafür war, dass sich zunehmend Deutsch sprechende Siedler
in der Gegend niederließen, wie Richard Švandrlík berichtet:
„Výškovice war selbstverständlich schon während des
Dreißigjährigen Krieges deutsch.“
Auf
der Steuerrolle aus dem Jahre 1654 werden alle acht Bauern aus „Wischkowitz“ nur
mit deutschen Namen genannt, darunter Breuer, Grüner oder Weigl. Das Dorf
überlebte die folgenden Jahrhunderte vergleichbar den tschechischen
Nachbardörfern in der Region. Die wechselnden Regierungen, Pestnöte und Kriege
verringerten zwar die Einwohnerzahl immer wieder, die Existenz des Dorfes selbst
war dadurch aber nicht gefährdet. Im Gegenteil: Als im Jahr 1775 die barocke
Kapelle ´Dobré rady Panny Marie´ (Maria von Guten Rat) erbaut wurde, verfügte
die Ortschaft bereits über 18 Ortsansässige und die Einwohnerzahl stieg in den
kommenden Jahrzehnten auf bis zu 190 Dorfbewohnern an.
Ein Höhepunkt der Dorfgeschichte ist der Besuch von Johann
Wolfgang von Goethe am 21. August 1821. Möglicherweise auf Anregung des Beamten
Josef Sebastian Grüner, der ein Kenner des Gebietes um Marienbad ist und vom
Verehrer zum Freund Goethes wird, hielt dieser bei seiner Reise von Marienbad
zum Kloster Tepl auch in Výškovice. Goethe notierte in seinen Aufzeichnungen
über die Rückreise:
„Der Gipfel des Berges Podhora (Podhorn) blieb uns links;
ein sehr schlimmer Waldweg über den ablaufenden Rücken desselben hielt uns auf;
doch wurden wir dadurch belohnt, dass wir unvermutet Basalt fanden. Und so haben
die beiden Tage, gestern und heut, mehr für die Kenntnis des Landes geleistet
als die vergangenen drei Wochen.“
War
die Frage der nationalen Zugehörigkeit zu Goethes Zeiten noch wenig interessant,
formten sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zwei Teile der
Gesellschaft heraus - die tschechische und die deutsche. Dennoch blieb es etwa
bis zum Jahr 1935 im Gebiet um Výškovice beim friedlichen Zusammenleben zwischen
der tschechisch- und deutschsprachigen Bevölkerung, wie Richard Švandrlik
berichtet:
„Die älteren Zeitzeugen erzählten, dass sie hier, im
Gebiet um Marienbad auch in den Dörfern Výškovice oder Pístov / Pistau als
Kinder ihren Urlaub verbracht haben. Sie waren dort bei Familien, um zwei Monate
nur Deutsch zu sprechen. Die deutschen Kinder fuhren wiederum zu tschechischen
Familien.“
Doch mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten in
Deutschland wurde der Ruf der Sudetendeutschen, sich dem Deutschen Reich
anzuschließen, immer lauter und feindseliger. Die Anbindung kam 1938, die
Mehrheit der im Gebiet von Marienbad lebenden Deutsch sprechenden Bevölkerung
hatte sie herbeigesehnt. Für das Gebiet hatte dies jedoch verheerende Folgen.
Anstelle des friedlichen Zusammenlebens der tschechisch- und deutschsprachigen
Bevölkerung verstärkten sich Hass und Feindseligkeit, die von Hitler, den
Nationalsozialisten und den Henlein-Anhängern geschürt wurden. Das Ende des
Krieges bedeutete daher – auch für die Ortschaft Výškovice – das Ende der
deutschsprachigen Bevölkerung im tschechischen Grenzgebiet, wie Richard
Švandrlík für den Kreis Marienbad bestätigt:
„Nach dem Jahr 1945 wurde über die Aussiedlung der deutschen
Bevölkerung entschieden, ausgenommen wurden Antifaschisten. Allerdings muss man
sagen, dass auch die Antifaschisten hier nicht bleiben wollten. Sie gingen
gemeinsam mit ihren Nachbarn weg.“
Die Deutsch sprechende Bevölkerung wurde auch in Výškovice
schnell durch eine aus verschiedenen ethnischen Gruppen zusammen gemischte
Einwohnerschaft ersetzt, darunter Slowaken, Ungarn, Rumänen oder Tschechen von
der Wolga. Als 1948 die Grenze von den kommunistischen Machthabern geschlossen
und im Jahr 1960 eine Neustrukturierung des Kreises vorgenommen wurde, wirkte
sich dies besonders negativ auf Výškovice und andere Nachbardörfer aus. Im Jahre
1965 lebten in dem isolierten Dörfchen nur noch zwölf Menschen. Den Grund für
den langsamen Niedergang des Ortes sieht Richard Švandrlík vor allem darin, dass
das zusammenhängende Gebiet mit dem Mittelpunkt des Prämonstratenser-Klosters
Tepl von den Kommunisten bewusst auseinander gerissen wurde.
„Vor allem wurden die Verkehrsverbindungen zerstört. Das
wurde recht drastisch durchgeführt und es ist kein Wunder, dass die Ortschaften
bereits zur Zeit des Sozialismus sich schnell entvölkerten und so zum Beispiel
im nahen Hostíčkov / Hetschigau nur 15 bis 20 Leute blieben. In Výškovice lebte
nur noch bis zum Jahr 1970 jemand, dann war es aus, und im Jahr 1974 wurde die
Gemeinde amtlich aufgelöst.“
Der unter Naturschutz gestellte große Lindenbaum, der in der
Mitte des ehemaligen Dorfes Výškovice wächst, steht dort bereits seit
Jahrhunderten. Er hat den Niedergang des Dorfes überlebt und ist dort der
einzige noch lebendige Zeuge der Geschichte.
Fotos: Autorin
Source: Czech Radio 7, Radio Prague
URL:
http://www.radio.cz/de/artikel/102888
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