[28.02.2008] - Tagesecho - Martina Schneibergova
Vertreibung als Vorzeichen des weiteren Totalitarismus
Während dieser Woche wird bei verschiedenen Historikertagungen, Treffen
mit ehemaligen politischen Gefangenen sowie Gedenkveranstaltungen an die
Ereignisse vor 60 Jahren erinnert, als die Kommunisten die Macht in der
Tschechoslowakei übernahmen. Das Geschehen kurz vor dem Februar 1948 wurde
auch während einer Diskussion angesprochen, die sich mit der evangelischen
Kirche und den tschechisch-deutschen Beziehungen befasste.
An der Diskussionsrunde, die vom Prager Sudetendeutschen Büro und der
Konrad-Adenauer-Stiftung organisiert wurde, nahmen einige ehemalige
tschechoslowakische Dissidenten teil – beispielsweise der Publizist Petr
Uhl oder der ehemalige Senator Zdeněk Bárta. Der evangelische Pfarrer
Miloš Rejchrt ging in seinem Vortrag auf die Haltung der evangelischen
Kirche der Böhmischen Brüder gegenüber den Sudetendeutschen ein. Der
einstige Sprecher der Charta 77 Rejchrt war bemüht die Standpunkte der
Christen aus der Sicht der Menschenrechte zu betrachten. Er machte dabei
auf zwei wenig bekannte Dokumente aufmerksam – auf einen Artikel vom
evangelischen Pfarrer und Historiker Rudolf Říčan aus dem Jahr 1946 und
auf ein späteres Schreiben des Theologen J. B. Souček. Sie äußerten
sich Rejchrt zufolge damals beide kritisch über die Vertreibung der
deutschen Bevölkerung, in der sie ein Vorzeichen der Entwicklung zum
Totalitarismus in der Tschechoslowakei gesehen hatten:
„Professor J. B Souček und Professor Rudolf Říčan waren meine
Professoren, ich habe sie persönlich gekannt, denn ich war noch ihr
Schüler. Diese beiden Theologen waren in unseren Kirchenkreisen, soviel
ich weiß, nach dem Krieg die einzigen, die nicht nur die so genannten
Exzesse kritisierten, sondern auch das Prinzip der Vertreibung in Frage
stellten. Für Professor Říčan, der Historiker war, hatten die Tschechen
mit den Deutschen eine 700 Jahre lange gemeinsame Geschichte. Die Tschechen
wurden seiner Meinung nach von den Deutschen stark beeinflusst. So war
beispielsweise einer der Initiatoren der so genannten tschechischen
´nationalen Wiedergeburt´, Bernard Bolzano, ein deutscher Priester. Seine
Gedanken hatten für die Tschechen eine große Bedeutung. Professor
Říčan sagte über die Vertreibung, es sei ein Versuch gewesen, nicht nur
das Böse, die schlimmen Erfahrungen mit den Deutschen, sondern auch das
Positive aus der gemeinsamen Geschichte zu entfernen. Professor Souček
sprach darüber, dass die Vertreibung und insbesondere die Ideologie und
die nationalistische Stimmung, die nach dem Krieg herrschten, für die
künftige Entwicklung ausschlaggebend waren. Damals war alles erschüttert,
alle ethischen Normen wurden erschüttert, es gab keine Gesetze mehr. Als
die Kommunisten im Februar 1948 die Macht ergriffen, waren die Leute
moralisch müde, um Widerstand zu leisten.“
Wann schrieb J. B. Souček dem Weltkirchenrat dieses Schreiben, von dem
die Rede ist?
„Dies schrieb Professor Souček eben im März 1948. Seine Worte waren
sehr prophetisch, denn er warnte in seinem Brief: Jetzt beginnt eine harte,
dunkle und lange Ära.“
Fotos: Sudetendeutsches Büro in Prag
Source: Czech Radio 7, Radio Prague
URL: http://www.radio.cz/de/artikel/101378
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