[13.01.2008] - Heute am Mikrophon - Jitka Mladkova
Vor 70 Jahren: Präsident Beneš wünscht Frieden und ein schönes Jubiläumsjahr 1938
Die Weihnachts- oder Neujahrsreden der Staatsoberhäupter aller Länder
sind erst vor kurzem verklungen. Hand aufs Herz, an wie viele der Worte
erinnern Sie sich noch? Dabei ist gar nicht so uninteressant, sich mal die
eine oder die andere Rede in Erinnerung zu rufen. Jitka Mladkova hat für
die nun folgende erste Ausgabe der Sendereihe Heute am Mikrophon im neuen
Jahr eine historische Ansprache gewählt, die für die Bürger der
Tschechoslowakei an der Schwelle des Jahres 1938 bestimmt war, und lässt
diese von einem Gesprächspartner kommentieren.
70 Jahre alt ist die Ansprache, die im Tonarchiv des Tschechischen
Rundfunks aufbewahrt wird. Zu Weihnachten 1937 hielt sie der
tschechoslowakische Präsident Edvard Beneš. An der Schwelle eines
schicksalhaften Jahres also, als sich dunkle Wolken über die damalige
Tschechoslowakei und ganz Europa zusammenballten. Man sah dem 20.
Gründungsjubiläum der Tschechoslowakischen Republik entgegen, sie hörte
aber 1938 de facto auf, für einige Jahre zu existieren. Dies nicht ahnend,
gab sich ihr Präsident noch optimistisch in seiner Weihnachtsansprache:
„Auch heuer trete ich mit einer Friedensbotschaft vor Sie hin. Ich
wiederhole, was ich bereits mehrmals gesagt habe: Das gefährlichste
Nachkriegsjahr war das Jahr 1936. In diesem Jahr wichen die europäischen
Staaten unter dem Einfluss der Entwicklung der Machtverhältnisse -
freiwillig oder unfreiwillig - von der bisherigen Politik ab, die ihren
Ausdruck im Gleichgewichte des Völkerbundes gefunden hatte, und gingen
offenkundig zu einer Periode abermaliger direkter Rivalität und direkten
Messens der Kräfte untereinander über.“
Das Jahr 1937 brachte laut Beneš wieder einen Ausgleich der Kräfte
zwischen den weltpolitischen Machtlagern. Und so formulierte er seine
Prognose für 1938:
„Das Jahr 1938 sollte und wird auch voraussichtlich ein Jahr der
Verhandlungen, des Diskutierens, der Suche nach einem Einvernehmen und
schließlich auch des Abschlusses wenigstens teilweiser und vorläufiger
Vereinbarungen sein, welche sodann zu definitiveren, den Frieden wenigstens
in Europa tatsächlich sichernden Abkommen führen werden.“
Positiv klingt Edvard Benešs Bilanz der Wirtschaftsentwicklung des Landes
im Jahr 1937. Wichtig für ihn ist allerdings noch ein anderes Thema:
„Als grundlegend für die Entwicklung unserer inneren Verhältnisse
halte ich das, was in diesem Jahre für das gemeinsame Verständnis
zwischen unseren Minderheiten-Nationalitäten und der tschechoslowakischen
Mehrheit geleistet wurde.“
Hierzu ein konkreter Hinweis des Präsidenten:
„Ein wichtiger innenpolitischer Faktor in der Entwicklung unseres
Staates ist der Regierungsbeschluss über die Minderheitenfragen vom 18.
Feber 1937, der nur alles das zur Durchführung bringt, was in diesen
Dingen schon in unserer Verfassung vorgeschrieben ist, und das ergänzt,
was hier schon unsere Regierungen seit dem Jahre 1919 getan haben.“

Soweit einige Ausschnitte aus der Weihnachtsrede des tschechoslowakischen
Präsidenten Edvard Beneš im Jahr 1937. Am Mikrophon ist jetzt Josef
Škrábek. Im Jahr 1938 war er erst zehn Jahre alt, doch als Sohn einer
deutschen Mutter und eines tschechischen Vaters kann er sich an das
Geschehen der folgenden Jahre gut erinnern. Davon zeugt schließlich auch
sein Buch „Včerejší strach - Gestrige Angst“, in dem er die
Erinnerungen an seine Kindheit und Jugend im deutsch-tschechischen Milieu
der 30er und 40er Jahre historischen Quellen und politologischen
Überlegungen gegenübergestellt hat.
Nun, wo sehen Sie den Schwerpunkt von
Edvard Beness Rede von 1937?
„Es steht fest, dass die Rede für die deutsche Minderheit in der
Tschechoslowakei bestimmt war. Sie war aber auch ans Ausland adressiert, um
darauf aufmerksam zu machen, Benes wendet sich direkt an die deutschen
Mitbürger. Mit einer Art Botschaft, dass der Präsident und die Regierung
um eine Zusammenarbeit mit der Minderheit bemüht seien.“
Worin sehen Sie die Mission, die Präsident Beneš seinen Mitbürgern in
der Weihnachtsansprache vermitteln wollte?
„Die Hauptaussage war, dass Beneš davon überzeugt war, dass es
möglich sein würde, im nachfolgenden Jahr 1938 internationale Abkommen
abzuschließen. Wörtlich heißt es bei ihm, ´sich vorläufig auf die
Bedingungen der Koexistenz zu verständigen´. Und außerdem unterstreicht
Benes, dass die Regierung im Februar 1937 einen bedeutenden Beschluss
fasste, der der deutschen Minderheit die Gewährleistung erweiterter
Kompetenzen zusagte.“
Und wie sind Ihrer Meinung nach Benešs Bemühungen, die
tschechisch-deutsche Koexistenz zu harmonisieren, ausgegangen?
„Mit Abstand der Zeit sagt man, dass er mit seinen Ideen zu spät kam.
Wäre es 1929 oder 1926 gewesen, wären auch die Chancen auf ein besseres
tschechisch-deutsches Zusammenleben größer gewesen. Damals aber herrschte
schon eine äußerst zugespitzte Situation in Europa. Außerdem waren die
Wirtschaftserfolge Deutschlands wie auch der Erfolg des Hitler-Regimes für
die meisten Angehörigen der deutschen Minderheit in der damaligen
Tschechoslowakei so betäubend, dass sie kaum noch auf die Verlockungen des
Nationalsozialismus verzichten konnten.“
Gibt es etwas, was Sie an Benešs Rede als interessant bezeichnen würden?
„Was gleich ins Auge sticht, ist seine sehr schöne, gleichmäßige und
gut lesbare Schrift. Zusätzlich hat er nämlich mit eigener Hand dem Text
hinzugefügt, dass die Maßnahmen von 1937 nur das erfüllen, was die
Republik schon von Anfang an erfüllt hat. Damit kann sich aber die
deutsche Minderheit nicht identifizieren, denn am Anfang war die
Staatsmacht nicht so entgegenkommend wie es 1937 der Fall war. Es ist
allerdings interessant zu hören, wie Beneš deutsch spricht. Es ist eine
Kombination von Sudetendeutsch und Hochdeutsch. Statt heuer sagt er
´haier´, statt neun ´nain´ und Ähnliches mehr. Das ist wahrscheinlich
darauf zurückzuführen, dass Beneš aus Kožlany stammte und nicht weit
von dort deutschsprachige Dörfer lagen. Es kann sein, dass er schon als
Kind etwas Deutsch gelernt hatte. Und so hört man in seiner
staatsmännischen Ansprache auch etwas Sudetendeutsch.“
Wie hört sich also heute insgesamt die Weihnachtsansprache des
tschechoslowakischen Präsidenten an – nach 70 Jahren?
„Mit Abstand der langen Zeit nehme ich heute wahr, wie krampfhaft
optimistisch Beneš damals war. Ähnlich präsentierte er sich auch nach
1945 oder eigentlich schon 1943, als er davon ausging, dass sich der
Kommunismus kultivieren und die Sowjetunion demokratisch werden
könnten.“
Seine Weihnachtsrede von 1937 schloss Präsident Edvard Beneš mit
folgenden Worten ab:
„Auch Ihnen wünsche ich heute, dass das kommende Jahr für sie besser
und friedlicher sei. Euch allen, allen Menschen, die guten Willens sind,
wünsche ich Ruhe und Frieden und unserem Staate ein schönes
Jubiläumsjahr!“
Source: Czech Radio 7, Radio Prague
URL: http://www.radio.cz/de/artikel/99568
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