[05.01.2008] - Kapitel aus der Tschechischen Geschichte - Thomas Kirschner
Achtung Acht! Tschechien und die Achter-Jahre (1)
In den Kapiteln aus der Tschechischen Geschichte nehmen wir heute den
Jahreswechsel zum Anlass, den Blick ausnahmsweise einmal nicht zurück zu
richten, sondern voraus zu schauen auf die kommenden zwölf Monate.
Natürlich nicht auf die Ereignisse, die das Jahr bringen wird, sondern auf
die Jahrestage, die anstehen. Und hier gibt es gleich eine ganze Reihe
bedeutender Jubiläen und Gedenktage zu begehen. Denn die Achter-Jahre
waren in Tschechien stets besonders geschichts- und schicksalsträchtig.
Begeleiten Sie uns auf dem ersten Teil eines Streifzuges auf den Spuren der
Acht.
Ob die Acht in der tschechischen Geschichte eine Glücks- oder
Unglückszahl ist, das lässt sich nicht leicht entscheiden. Sicher aber
ist sie eine Schicksalszahl. Die Zahlenmystik des Jahreswechsels hat sogar
Präsident Václav Klaus in seiner Neujahrsansprache nicht „außer
Acht“ gelassen:
„Seien wir nicht abergläubisch, aber es beginnt ein Jahr, das eine Acht
am Ende trägt. Auch wenn dahinter nur ein Zusammenspiel von Zufällen
steht: Im 20. Jahrhundert haben sich die Ereignisse, die uns am meisten
beeinflusst haben, gerade in diesen Jahren abgespielt.“
1938, 1948, 1968 - drei Schicksalsjahre des 20. Jahrhunderts haben den
Tschechen zuletzt die Furcht vor der Acht gelehrt: Münchener Abkommen,
Kommunistischer Putsch und die Niederschlagung des Prager Frühlings -
Wendepunkte in der Geschichte des Landes und in den Biographien zahlloser
Tschechen. Bedeutende Achter-Jahre lassen sich quer durch die ganze
tschechische Geschichte finden, so der Prager Historiker Petr Čornej
gegenüber dem Tschechischen Fernsehen:
„Es fängt an mit dem Jahr 1108, mit der Ermordung der Vršovci, der
Konkurrenten der Přemysliden-Dynastie, und es hört auf 1998, als das
tschechische Eishockeyteam auf der Olympiade in Nagano Gold geholt hat“
Der Sieg ihrer Jungs beim Jahrhundertturnier in Nagano ist inzwischen
fixer nationaler Mythos der Tschechen - ein Achter-Jahr, an das man sich
gerne erinnert. Das Historiker-Ehepaar Peter Čornej und Ivana Čornejová
haben quer durch die Jahrhunderte mehr als vierzig Jahre aus der
Achter-Reihe aufgelistet, die in der böhmischen Geschichte tiefe Spuren
hinterlassen haben:
„Schicksalsträchtige Achter-Jahre gibt es wirklich jede Menge. 1278 die
Schlacht auf dem Marchfeld und der Tod von Přemysl Ottokar II. - der
Beginn der 640-jährigen Habsburger-Herrschaft in Böhmen.“
„Die Karlsuniversität hat Epoche machende Achter-Jahre in ihrer Chronik
– allen voran das Datum der Gründung am 7. April 1348. Bedeutend ist das
Jahr 1348 auch wegen der Gründung der Prager Neustadt.“
Die Reihe lässt sich beliebig fortsetzen: 1618 beginnt mit dem Prager
Fenstersturz der 30-Jährige Krieg, 1848 erschüttert die Revolution auch
die Böhmischen Länder, 20 Jahre später, 1868, markiert die
Grundsteinlegung zum Nationaltheater einen ersten strahlenden Höhepunkt im
erwachenden tschechischen Nationalbewusstsein. Der Mythos der Achter-Jahre
ist jedoch vor allem im vergangenen Jahrhundert entstanden, erklärt
Oldřich Tůma, der Leiter des Institutes für Zeitgeschichte:
„Vor allem im 20. Jahrhundert ist es so, dass die für Tschechien
besonders bedeutenden Ereignisse in Jahren mit einer Acht am Ende
stattgefunden haben. 1918, 38, 48, 68 – nur das kommunistische Regime hat
es noch ein Jahr länger geschafft, da hat es mit der Acht nicht geklappt.
Aber ansonsten ist die Acht über jedes statistisch-wahrscheinliche Maß
hinaus häufig vertreten.“
Die erste Schicksals-Acht des Jahrhunderts ist Tschechien freundlich
gestimmt. Während 1908 auch in Böhmen noch das 60-jährige Thronjubiläum
des greisen Monarchen Franz Joseph gefeiert wird, geht zehn Jahre später,
1918, aus der zerfallenden Habsburgermonarchie die unabhängige
Tschechoslowakei hervor.
„An das Jahr 1918, das Entstehen unseres selbstständigen Staates,
erinnern wir uns gerne, denn das war die Geburtsstunde einer freien und
demokratischen Gesellschaft im Lande. Es ist gut, dass sich unsere
Gesellschaft auch heute mit diesen Worten charakterisieren lässt“,
so Präsident Klaus in seiner Neujahrsansprache 2008. Der Start war für
den jungen Staat nicht einfach - innerlich nicht gefestigt, von den
Nachbarn bestenfalls reserviert betrachtet, kam wesentliche Unterstützung
vor allem von den Siegermächten des Ersten Weltkriegs, von den USA,
Frankreich und Großbritannien. Daran erinnerte auch der Staatsgründer und
erste Präsident der Tschechoslowakei, Tomáš Garrigue Masaryk, in seiner
Ansprache zum 10. Jahrestag der Unabhängigkeit am 28. Oktober 1928:
„Unser Staat ist erneuert worden, weil unser Staatsrecht von den Alliierten
anerkannt wurde, weil sich die Nation zu Hause und im Ausland unseren
Gegnern und den Verteidigern des alten Regimes tapfer entgegengestellt hat.
Wir sind und bleiben den verbündeten Staaten für ihre Hilfe und
Freundschaft, die sich auch nach dem Krieg gezeigt hat, dankbar.“
Es war die Halbzeitbilanz der Ersten Republik. Ihr Ende wurde genau zehn
Jahre später, 1938, mit dem Münchener Abkommen eingeläutet. Im Glauben,
den Frieden in Europa zu retten, lieferten die Verbündeten England und
Frankreich die Tschechoslowakei an Hitler-Deutschland aus.
„An das Jahr 1938, das das Ende der Ersten Republik bedeutet, den
Verlust der staatlichen Ganzheit und die Vorwegnahme der deutschen
Okkupation, erinnern wir uns sehr ungern. Wir sagen zwar, wir wurden
verraten, aber wir machen uns für gewöhnlich nur wenig Gedanken darum, ob
und in wie weit wir zu dem, was damals geschehen ist, auch selbst direkt
oder indirekt beigetragen haben“,
so Präsident Václav Klaus in seiner diesjährigen Neujahrsansprache. In
der Geschichte erscheint die Tschechoslowakei 1938 als Spielball der
Mächte. Am 1. Oktober 1938 besetzen deutsche Truppen das Sudetengebiet. Im
südmährischen Znaim tritt Hitler selbst vor die Bevölkerung, die immer
wieder in Heilrufe ausbricht.
„Von heute an ist dieses Gebiet endlich und unwiderruflich ein
Reichsgau der deutschen Nation! - Heil, heil!“
Die tschechoslowakische Armee zieht sich beim Einmarsch der Deutschen
kampflos aus ihren gut ausgebauten Verteidigungsstellungen zurück; es
fällt kein einziger Schuss. Bis heute ein nicht überwundenes Trauma der
tschechischen Geschichte. Gefällt hat die Entscheidung der Armeegeneral
Jan Syrový, der im Herbst 1938 die tschechoslowakische Regierung führte:
"Ich durchlebe die schwierigsten Augenblicke meines Lebens, denn ich
erfülle eine so schmerzhafte Aufgabe, dass es leichter wäre zu sterben.
Wir hatten die Wahl zwischen verzweifelter und aussichtsloser Verteidigung,
die die Opferung nicht nur der gesamten erwachsenen männlichen Generation,
sondern auch von Kindern und Frauen bedeutet hätte. Und zwischen der
Annahme der Bedingungen, die in ihrer Rücksichtslosigkeit ohne Beispiel in
der Geschichte sind. In tiefer Erregung haben alle Staatsführer gemeinsam
mit der Armee und dem Präsidenten alle Möglichkeiten, die uns verblieben,
abgewogen. Sie einigten sich darauf, dass in der Wahl zwischen einer
Grenzverkleinerung und dem Untergang des Volkes es die heilige Pflicht ist,
das Leben unseres Volkes zu erhalten."
Soweit der erste Teil unseres Streifzuges durch die Achter-Jahre in der
tschechischen Geschichte. Das Jahr 1938 ist aber bei weitem nicht das
letzte tschechische Schicksalsjahr, das mit dieser Ziffer endet. Mehr dazu
erfahren Sie in einem zweiten Teil dieser Sendung in einem der kommenden
Kapitel aus der tschechischen Geschichte.
Source: Czech Radio 7, Radio Prague
URL: http://www.radio.cz/de/artikel/99267
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