[12.12.2005] - Heute am
Mikrophon - Gerald Schubert
Martin Dzingel über die "Landesversammlung der Deutschen in
Böhmen, Mähren und Schlesien"
Was haben der Deutsche Sprach- und Kulturverein Brünn,
der Verband der Deutschen in der Region Reichenberg oder der Böhmerwaldverein
Krummau gemeinsam? Sie alle sind, gemeinsam mit 20 anderen Verbänden, in der
"Landesversammlung der Deutschen in Böhmen, Mähren und Schlesien" integriert.
Leiter dieser Dachorganisation ist Martin Dzingel. Am Rande einer Konferenz zu
Minderheitenfragen, die jüngst in Prag über die Bühne ging, hat Gerald Schubert
sich mit Dzingel unterhalten: Über die jüngste Geste des sozialdemokratischen
Premierministers Jiri Paroubek, in der die Verdienste deutscher Antifaschisten
für den Erhalt der demokratischen Tschechoslowakei gewürdigt wurden, über die
lange Tradition der hiesigen Deutschen, die Dzingel in der Konferenz
angesprochen hatte, und darüber, was eigentlich die konkreten Aufgabenbereiche
der Landesversammlung in der Gegenwart sind.
Wie kann man die deutsche Minderheit in der Tschechischen
Republik charakterisieren?
"Die deutsche Minderheit hat natürlich eine
Jahrhunderttradition - früher in den böhmischen und mährischen Ländern, dann in
der Tschechoslowakei und jetzt in der Tschechischen Republik. Die
Landesversammlung hat zurzeit ungefähr 5000 Mitglieder. Im Jahr 2001 haben sich
bei der Volkszählung rund 38.000 tschechische Bürger zur deutschen Nationalität
bekannt. Wir als Dachorganisation koordinieren 23 deutsche Verbände in der
Tschechischen Republik und arbeiten vor allem auf den Gebieten Kultur, Bildung
und politische Vertretung im Lande."
Gehen wir die drei Bereiche kurz durch: Worum geht es
Ihnen in der Kulturarbeit?
"Der Kulturbereich gehört zu den wichtigsten Punkten unserer
Arbeit. In unseren Statuten steht, dass wir das Kulturerbe der deutschen
Minderheit in Tschechien pflegen möchten. Auf diesem kulturellen Gebiet bewegen
sich vor allem die deutschen Verbände in den Regionen. Zum Beispiel gibt es die
Kulturtage, die mittlerweile schon zur Tradition geworden sind. Außerdem
organisiert die Landesversammlung jedes Jahr ein großes Kulturtreffen der
deutschen Verbände."
Wie sieht es bei der
Bildung aus? Welche Angebote gibt es hier?
"Leider ist es so, dass die deutsche Minderheit in
Tschechien sehr zersplittert ist. Das ist unser altes Problem. Wir konzentrieren
uns sehr auf Sprachkurse in den einzelnen Regionen. Wie ich schon erwähnt habe,
haben wir 23 Verbände, und außerdem haben wir 13 Begegnungszentren. Fast alle
diese Zentren bieten auch Sprachkurse an und widmen sich auf diese Art der
deutschen Sprache."
Und bei der politischen Vertretung? Worin bestehen da die
größten Probleme, und was können Sie dagegen tun?
"Das größte Problem, das sich schon über Jahre hinzieht, ist
eigentlich die so genannte humanitäre Geste des tschechischen Staates gegenüber
der deutschen Minderheit. Auf dem Gebiet der Politik orientieren wir uns vor
allem durch unseren Vertreter im Minderheitenrat der Regierung, wo die Probleme
aller Minderheiten besprochen werden. Also auch unsere."
Neulich gab es aber doch eine Geste von Premierminister
Paroubek. Haben Sie sich diese Geste anders vorgestellt?
"Wir begrüßen diese Geste von
Herrn Paroubek natürlich. Nur leider ist es bei der Aussage in den Medien
geblieben. Natürlich ist auch das ein Schritt in die richtige Richtung. Aber wir
möchten auch eine Geste, die etwas bedeutet."
Also in finanzieller Form?
"Natürlich beschäftigen wir uns auch mit dem finanziellen
Aspekt. Aber es gibt auch andere Dinge, zum Beispiel Anerkennung von
akademischen Titeln oder auch von Renten, die nach dem Zweiten Weltkrieg
gestrichen oder gekürzt worden sind."
Als Vertreter der deutschen Minderheit haben Sie doch
einen gewissen Sonderstatus. So unterscheiden sich die Probleme der deutschen
Minderheit wahrscheinlich fundamental von denen der Roma-Minderheit. Stehen Sie
untereinander alle in gutem Kontakt und koordinieren Sie sich? Oder sind die
Unterschiede zwischen den Problemen der einzelnen Minderheiten doch zu
groß?
"Bestimmt haben die Minderheiten auch unterschiedliche
Probleme. Die eine hat etwa ein größeres soziales Problem, die andere ein
historisches. Also sind einige Probleme identisch, andere wieder ganz
unterschiedlich. Ich glaube, das ist normal. Es hängt auch davon ab, wie die
Minderheit hier vertreten ist oder wie lange sie hier schon lebt."
Source: Czech Radio 7, Radio Prague
URL:
http://www.radio.cz/de/artikel/73647
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