[06.12.2005] - Tagesecho - Silja Schultheis
Erste große Ausstellung zur Vertreibung
Auch 60 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist
die Vertreibung von Millionen Deutschen aus der Tschechoslowakei immer noch das
heikelste Kapitel in den tschechisch-deutschen Beziehungen. Die Diskussion
darüber ist vielfach von Emotionen geprägt und aus dem historischen Zusammenhang
gerissen. Sich dem Thema Vertreibung in einem breiteren historischen Kontext zu
nähern ist Ziel der Ausstellung "Flucht, Vertreibung, Integration", die am
Wochenende im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn
eröffnet wurde. Ihr Kurator ist Achim Westholt. Silja Schultheis hat sich mit
ihm unterhalten.
Herr Westhold, die Flucht und Vertreibung von Millionen Deutschen
am Ende des Zweiten Weltkriegs gehören zu den heiklen Themen der deutschen
Geschichte. Nach jahrelanger Vorbereitung ist am Wochenende die erste große
Ausstellung zu diesem Thema in Deutschland eröffnet worden. Wie nähert sie sich
diesem schwierigen Kapitel?
"Wir haben dieses Kapitel erarbeitet auf der Grundlage der
historischen Forschung. Wir haben ja das Glück, dass wir sowohl im
deutsch-polnischen als auch im deutsch-tschechischen Verhältnis eine Reihe an
Historikern haben, die sich diesem Problem gewidmet haben, so dass man hier auf
einer soliden wissenschaftlichen Forschung aufbauen kann."
Versteht sich die Ausstellung auch als Beitrag zur
politischen Diskussion um dieses Thema, die in letzter Zeit in Zusammenhang mit
dem geplanten Zentrum gegen Vertreibung erneut an Brisanz gewonnen hat?
"Sie versteht sich als Beitrag zur Versachlichung
der Diskussion, das würde ich in jedem Fall sagen."
Im Vorfeld der Ausstellung hat das Haus der Geschichte
beim Institut für Demoskopie in Allensbach eine Studie in Auftrag gegeben:
Flucht und Vertreibung aus der Sicht der deutschen, tschechischen und polnischen
Bevölkerung...
"Dabei geht es zum einen um Befragungen zu diesem Thema in
der Bundesrepublik selbst. Da stellt sich heraus, dass das Thema zwar auf großes
Interesse stößt, die Menschen aber gleichzeitig nicht viel darüber wissen. Zum
anderen - und das war uns ganz wichtig - finden wir eine ganze Menge heraus über
die Einstellung in Polen und der Tschechischen Republik. Beispiel: Zentrum gegen
Vertreibungen. Sobald man den Leuten klarmacht, dass es in dem Zentrum nicht nur
um deutsche Bevölkerung geht, sondern auch um Vertreibungen in anderen Ländern,
finden wir auch in der Tschechischen Republik fast eine Verdreifachung
derjenigen, die sagen, dann sei das doch eigentlich eine ganz gute Idee."
Die Ausstellung wirft auch einen Ausblick auf
die aktuelle Situation und insbesondere das Verhältnis zwischen Deutschland und
Tschechien bzw. Polen. Zu welchen Ergebnissen kommt die Ausstellung hier?
"Sie versucht vor allem eines deutlich zu machen: Dass
abseits der Konflikte, die ja in der Regel medial hochgespielt werden, sehr viel
an Kooperationen stattfindet. Es gibt lange nicht so viel Konflikt, wie es
erscheint, wenn man nur die dicken Schlagzeilen liest."
Die Ausstellung im Haus der Geschichte in Bonn dauert bis
zum 17. April 2006, danach soll sie in Berlin und Leipzig gezeigt werden.
Zur Ausstellung sind zwei Publikationen erschienen: Flucht,
Vertreibung, Integration, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik
Deutschland (Hg.), 2005, Kerber Verlag, Bielefeld
Flucht und Vertreibung aus Sicht der deutschen, polnischen
und tschechischen Bevölkerung, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik
Deutschland (Hg.), Bonn 2005 (eine Studie des Instituts für Demoskopie,
Allensbach im Auftrag des Hauses der Geschichte)
Source: Czech Radio 7, Radio Prague
URL:
http://www.radio.cz/de/artikel/73448
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