[28.11.2005] - Tagesecho - Thomas Kirschner
Wem gehören die Karlsbader Oblaten?
Nürnberger Lebkuchen und steirisches Kürbiskernöl
gehören bereits dazu: Zwei Beispiele für Produkte mit einer EU-weit geschützten
Ursprungsbezeichnung. Auch die tschechische Regierung hat nun eine Liste mit
regionalen Spezialitäten des Landes zur Registrierung vorgelegt. Was Traditionen
schützen soll, könnte zugleich aber Traditionen abschneiden. Das meinen
jedenfalls Vertreter der sudetendeutschen Landsmannschaften. Es berichtet Thomas
Kirschner.
Von Südböhmischen Karpfen bis Saazer Hopfen
reicht die Liste der insgesamt 35 regionaltypischen Produkte, für die die
tschechische Regierung bei der Europäischen Kommission eine geschützte
Ursprungsbezeichnung beantragt hat - darunter auch die berühmten Karlsbader
Oblaten. Dagegen aber erhebt unter anderem der deutsche CSU-Europaabgeordnete
und Bundesvorsitzende der Sudetendeutschen Landsmannschaft Bernd Posselt
Einspruch. Karlsbader Oblaten seien zwar im böhmischen Bäderdreieck entstanden,
die Produktion habe vor dem Zweiten Weltkrieg aber vor allem in sudetendeutschen
Händen gelegen, so Posselt.
"Dann sind 1945 die sudetendeutschen Bäckerfamilien
vertrieben worden, und sie haben in der Vertreibung diese Tradition fortgeführt.
Und es wäre doch ein Jammer, wenn sie 60 Jahre nachdem sie das alles mühsam
wieder aufgebaut haben, ihre Produkte plötzlich nicht mehr Karlsbader Oblaten
nennen dürften."
Betroffen davon wäre zum Beispiel der Betrieb der Familie Wetzel, die
heute im bayrischen Dillingen ihre Karlsbader Oblaten bäckt. Im tschechischen
Landwirtschaftsministerium beharrt man aber darauf, dass nur die Oblaten aus
Karlovy Vary auch echte Karlsbader Oblaten seien. Ministeriumssprecher Hugo
Roldan dazu:
"Ich meine nicht, dass es hier um die Wegnahme einer
Tradition geht, denn die Tradition der Oblatenherstellung gehört ganz klar zu
Karlsbad. Wenn deutsche Vertriebene aus der Region Karlsbad das Wissen um die
Oblatenbäckerei mit in ihre neue Heimat genommen haben, können sie die Oblaten
natürlich auch weiter herstellen. Aber wir meinen, dass die Bezeichnung
´Karlovarske oplatky´, also ´Karlsbader Oblaten´ auf die Region Karlsbad
beschränkt sein sollte, wo die Oblaten seit jeher hergestellt werden."
Scharfe Töne schlägt dazu der
Vorsitzende der Sudetendeutschen Landsmannschaft in Österreich (SLÖ) Gerhard
Zeihsel an, der von dem "Versuch einer neuen Enteignung der Sudetendeutschen"
sprach. Der Europaabgeordnete Posselt distanziert sich von solchen
Angriffen.
"Es geht nicht um Enteignung - es geht überhaupt nicht um
Konfrontation! Das möchte ich ganz klar sagen: Hier will niemand mit einem
anderen einen Streit anfangen! Wir sollten nach der Devise leben: Leben und
leben lassen! Es soll die tschechischen Oblaten aus Karlsbad geben und es soll
die sudetendeutschen Karlsbader Oblaten geben, die aufgrund der Tragödien des
20. Jahrhunderts jetzt in Dillingen hergestellt werden. Für beide gibt es einen
großen Markt, beide können koexistieren, und ich finde, man könnte gerade hier
ein immaterielles Zeichen der Versöhnung setzen, wenn man einfach sagt: Es gab
in Böhmen bis zur Vertreibung zwei Völker, die Tschechen und die Deutschen, und
die haben dasselbe gegessen und dasselbe getrunken und eine gemeinsame Kultur
gehabt, die zum Beispiel in den Oblaten fortlebt. Und diese Oblaten gehören
daher beiden Seiten gleichermaßen."
Die Karlsbader Oblaten sind übrigens nicht das einzige
umstrittene Produkt - eine ähnliche Auseinandersetzung gibt es auch um die
olomoucke tvaruzky, die Olmützer Quargeln.
Source: Czech Radio 7, Radio Prague
URL:
http://www.radio.cz/de/artikel/73170
© Copyright 1996, 2005 Radio
Prague
All rights reserved.