[06.08.2005] - Regionaljournal - Danilo Höpfner
Suche nach Identität in Erzgebirge
Es ist ein Gebirge, dem das reiche Erzvorkommen seinen Namen gab. Es gilt
als das am dichtesten besiedelte Gebirge Europas, aber es ist zweigeteilt.
Die Tschechen nennen es "Krusne hory", die Deutschen
"Erzgebirge". Die Grenze, eine der ältesten Staatsgrenzen
Europas, schlängelt sich mitten durch die Berge, macht sich breit zwischen
dem Fichtelberg auf der deutschen und dem Keilberg auf der tschechischen
Seite. Hüben wie drüben des Gebirges nennen sich die Anwohner
"Erzgebirgler". Ist damit auch das gleiche gemeint? Danilo
Höpfner, unser Korrespondent in Sachsen, war auf beiden Seiten auf der
Suche nach einer "erzgebirgischen" Identität".
"´Wu de Husen Hosen haasen un de Hoosen Husen haasen, do sei mir
drhamm.´ Ich weiß nicht, ob Sie das jetzt verstanden haben, aber das ist
schon ein Stück Muttersprache und ein Stückchen Heimat."
"E Herz fir unner schiene Haamit, fir unner schienen Wald, fir unner
Berch und Täler, wus Echo wiederhalt."
"Ein Herz für uns´re schöne Heimat" singen "De
Randfichten" aus dem Erzgebirge. Eine Band, die beim Bundesvision
Songcontest für Sachsen antrat und mit dem "Holzmichel-Song"
deutschlandweit berühmt wurde. Wie immer man zur Musik der Randfichten
stehen mag, eines haben sie geschafft: erzgebirgische Musik und damit die
wenig beliebte erzgebirgische Mundart gerade bei jüngeren Erzgebirglern
wieder etwas populärer zu machen. Mehr noch: sie haben den Menschen
zwischen Johanngeorgenstadt und Altenberg ein Stückchen Identität gegeben.
Wolfgang Kraus, erster Bundsvorsitzender des Erzgebirgsvereins und
ehemaliger Bürgermeister des westerzgebirgischen Städtchens
Johanngeorgenstadt:
"Brauchtum kann man einfach nicht erhalten, indem man es pflegt wie
es ist, man muss es fortschreiben, nur dann lebt es. Und die Randfichten
sind hier in eine Nische eingestiegen, wo sie erzgebirgische Mundart,
erzgebirgische Lieder aufnehmen und mit modernen Rhythmen untersetzten,
das kommt beim Publikum und bei jungen Leuten an".
Ortswechsel. Die Spurensuche nach erzgebirgischer Identität führt in den
tschechischen Grenzort Bozi Dar, deutsch Gottesgab. Hier befindet sich das
Grab von Anton Günther, der erzgebirgischen Galionsfigur schlechthin. Der
Volksdichter, Komponist und Heimatsänger wurde 1876 hier geborgen und
schrieb jene Lieder, die heute als die großen Identität stiftenden Werke
des Erzgebirges gelten. Doch, von erzgebirgischer Kultur und Brauchtum wie
in Sachsen ist auf der tschechischen Seite kaum etwas zu finden.
Weihnachtspyramiden, Räuchermännchen, Stollen, Heimatlieder, all dies gibt
es hier nicht, nicht mehr. Kamil Stumpf, Dozent an der Uni Leipzig, stammt
aus dem nordböhmischen Teplice/Teplitz, am Rande des tschechischen
Ost-Erzgebirges:

Pyramide
"Die Besieldung, die Bevölkerung in Nordböhmen, ist noch nicht so
alt, zumindest in der Mehrheit nicht. Das hängt damit zusammen, dass die
Deutschen vertrieben wurden und die neue Besiedung war aus der damaligen
Tschechoslowakei vermischt, auch aus der Slowakei, Mähren usw. Deshalb
musste sich eine neue Identität entwickeln. Das ist noch nicht so lange
her, 60 Jahre, das reicht noch nicht."
80 bis 100 Prozent der Bevölkerung im böhmischen Erzgebirge waren bis
Kriegsende deutschstämmiger Herkunft. Heute sind es weniger als ein
Prozent. Vor wenigen Jahren ließ die EU einige europäischen Grenzregionen
auf ihre Grenzidentitäten hin untersuchen. Projektleiter für den
sächsisch-tschechischen Grenzraum war Prof. Werner Holly von der TU
Chemnitz. Er nennt noch einen weiteren Grund, weshalb es auch heute noch
zwischen Deutschen und Tschechen keine gemeinsame erzgebirgische Identität
gibt:
"Wir haben da überall asymetrische Verhältnisse, ungleich Nachbarn.
Sagen wir mal grob, die Reichen und auf der anderen Seite die Armen.
Daraus ergibt sich eine Ungleichheit, die das Ganze nicht ungetrübt
erscheinen lässt. Wenn es für sie schwierig ist, auf die andere Seite zu
fahren, weil dort alles so euer ist, weil sie sich dort eh nichts leisten
können, dann fragen sie sich, was soll ich dort. Umgekehrt ist es oft so,
dass die Reichen aus einer Position der Überlegenheit auf die Ärmeren
herunterschauen".
Arm und Reich, ein Gegensatz der sich die nächsten Jahre langsam
angleichen wird. Bisher empfinden sich hauptsächlich die
"reichen", also die sächsischen Erzgebirger, ihren Traditionen
verbunden. Doch woher kommt dieses starke Identitätsgefühl der
Erzgebirgler? Wolfgang Kraus:
"Der Erzgebirgler ist sehr verwurzelt, diese Verwurzelung ist sicher
begründet in der Tradition, und diese hängt mit dem Bergbau und mit der
Sehnsucht nach dem Licht zusammen. Bergleute die viele Stunden ihres
Tagesablaufes unter der Erde waren und damit dem Licht fern, haben ganz
bewusst im Brauchtum das Licht in den Vordergrund gesetzt, schauen sie
diese Lichterträger, Schwibbögen oder die erzgebirgische Weihnacht, die
einzigartig ist für diesen Landstrich, das ist schon eine
Verwurzelung."
Erzgebirgisch sein hüben und drüber - das ist heute nicht mehr dasselbe.
Doch 60 Jahre nach dem Ende des 2. WK und 16 Jahre nach der Wende in
Mitteleuropa bewegt sich etwas, jedoch langsam.

Erzgebirgische Volkunst
"Wenn ich z.B. an Herrn Snider denke, der in Platten wohnt, auf
Tschechisch Horni Blatna, der dort Bürgermeister war. Er ist von Geburt an
Deutscher. Dort wird natürlich das erzgebirgische Brauchtum gelebt. Er
selbst tut natürlich sehr viel dafür. Er leitete das Museum "Silber
und Eisen", kann vieles von Brauchtum dort berichten. Das sind
natürlich Dinge, die auch auf seine Mitmenschen ausstrahlen."
"Arzgebirg, mei Haamitland..."
"Erzgebirge, mein Heimatland" singen die Randfichten voller
Bewunderung für ihren Landstrich, bisher nur im sächsischen Erzgebirge.
Sächsisch-tschechische Zugverbindungen, Wanderwege, gemeinsame
Gewerbeparks und kulturelle Events verbinden heute beide Seiten des
Erzgebirges wirtschaftlich, politisch und kulturell wie schon seit fast
hundert Jahren nicht mehr. Ob es auch wieder zu einer gemeinsamen
erzgebirgischen Identität führen wird, bleibt abzuwarten. Noch einmal
Wolfang Kraus:
"Tja, das wird Generationen dauern, das ist keine Sache von heute auf
morgen, schon aus dem Grunde, dass natürlich auch zu viel Geschichte
aufzuarbeiten ist, und erst wenn man diese Geschichte erfolgreich bewältig
hat, auf beiden Seiten, dann wird es einen großen Ruck nach vorn
geben."
Ein Bericht von Danilo Höpfner. Dass das Erzgebirge auch wirtschaftlich
wie kommunalpolitisch enger zusammenrückt, zeigt noch ein Beispiel aus
Johanngeorgenstadt. Das Städtchen auf deutscher Seite wird künftig die
Abwässer seiner tschechischen Nachbargemeinde Potucky/Breitenbach klären.
Source: Czech Radio 7, Radio Prague
URL: http://www.radio.cz/de/artikel/69327
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