[10.07.2005] - Kultursalon - Bára Procházková
Vertreibung anders "geschrieben"
Das Thema Vertreibung, Aussiedlung oder Abschiebung der Deutschen aus der
ehemaligen Tschechoslowakei ist in aller Munde - besonders bei Anlässen,
die dazu einladen, aus dieser Thematik einen Benefit für die eigene Seite
zu gewinnen. Wie wird aber dieses Thema in der tschechischen Literatur der
zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert dargestellt? Darüber hat Bara
Prochazkova mit der Herausgeberin des Sammelbandes "Vertreibung,
Aussiedlung, Transfer", Gertraude Zand gesprochen. Hören Sie also
mehr zum Thema im nun folgenden "Kultursalon":
Die Vertreibung der Deutschen aus der ehemaligen Tschechoslowakei wird in
der tschechischen Literatur der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert
kontinuierlich einseitig dargestellt, der Leser erfährt eher eine
Zustimmung zu den Taten der Tschechen als eine kritische
Auseinandersetzung der Schriftsteller mit dem Thema, bestätigt die
Herausgeberin des Buches "Vertreibung, Aussiedlung, Transfer",
Gertraude Zand:
"Die Tendenz ist, dass gerade die erste Phase sehr verharmlosend
beschrieben wird, ohne kritischen Abstand. Die Dinge werden bestärkt,
bestätigt und gut geheißen. Es gibt etwa Sabotageakte, die bestraft
werden. In diesem Zusammenhang melden sich irgendwelche Stimmen, die
sagen, dass die Deutschen 'rausgehaut' gehören. Also es gibt manchmal eine
gröbere Wortwahl. Der Erzähler hingegen, der die maßgebende Instanz ist,
verwendet meistens sehr milde und beschönigende Worte."
Jedoch ist auch hier über die Jahrzehnte hinweg eine gewisse Entwicklung
spürbar. Jede Zeit hatte eine eigene Art, mit dem Thema der Deutschen als
Teil der tschechischen Gesellschaft sowie mit der Vertreibung umzugehen.
Keinen Leser wird es wahrscheinlich überraschen, dass sich in den 50er
Jahren ein großer Teil der Literatur parallel zu den gesellschaftlichen
Prozessen entwickelt hat. Das Ende des Zweiten Weltkrieges, die
Vertreibung sowie die Machtergreifung der kommunistischen Partei haben
einen großen Einfluss auf die literarische Welt ausgeübt, sagt die
Bohemistikprofessorin aus Wien, Gertraude Zand:
"Wenn man schaut, wo das Thema konkret vorkommt, dann findet man
keine qualitätsvollen Werke, die die Vertreibung direkt beschreiben. Es
handelt sich oft um Werke, die im 'Staatsinteresse' entstanden sind. Diese
Titel wurden von Leuten geschrieben, die sich gerade in der damaligen Zeit
in der Kulturpolitik des kommunistischen Apparates auf eine gewisse Weise
stark gemacht haben."
In der Nachkriegszeit haben sich zwei Positionen zu den unglücklichen Geschehnissen herausgeformt: Die deutsche und die tschechische Version, die beide teilweise bis heute zu hören sind. Die Aufmerksamkeit der Sudetendeutschen richtete sich auf das gewaltsame Unrecht, oft übersah man aber die Tatsache, dass die Mehrheit der Sudetendeutschen die Ideologien des Nationalsozialismus gut geheißen hatte. Diesen Teil der Argumentation nahmen sich dagegen die Tschechen zur eigenen Wahrheit und vergaßen dadurch oft die eigene Schuld, die sie am Ende Krieges auf sich geladen hatten. Diese Standpunkte wurden noch durch den Kalten Krieg und durch den Eisernen Vorhang verstärkt. Dass in der Literatur der 50er Jahre die Vertreibung der Deutschen gutgeheißen wird, liegt auf der Hand. Die Absicht der Schriftsteller, mit der die Werke geschrieben wurden und mit der sie gelesen werden sollen, ist leicht zu erkennen, denn die Bücher waren sehr plakativ geschrieben, sagt die Professorin aus Wien, Gertraude Zand:
"Ich schreibe zum Beispiel über den Autoren Vaclav Rezac. Er hat
einen Roman geschrieben mit dem Titel 'Nastup', auf Deutsch übersetzt
heißt es 'Die ersten Schritte'. Dieses Werk versucht den Zeitgeist
literarisch umzusetzen, und die politischen Vorgaben abzubilden. Die
Aussiedlung wurde so beschrieben, wie man sie wollte. Literarisch gesehen
ist es kein qualitätsvolles Werk."
Vaclav Rezac beschreibt in seinem Buch aus dem Jahr 1951 die
Kolonialisierung des Sudetengebietes, also die Vertreibung der Deutschen
und die Besiedlung durch die tschechische Bevölkerung. Alles aber ganz
klar tendenziell, sagt Zand. Die Auftragsliteratur der 50er Jahre wollte
im Geiste der Zeit mitschwimmen, manche Autoren waren von der Richtigkeit
des Weges der Vertreibung sowie der Sowjetisierung des Landes überzeugt.
Dies spiegelt sich in einer Flut von Werken wider, die die Thematik der
Deutschen in der tschechischen Gesellschaft zur Sprache gebracht haben.
Die Professorin am Institut für Slawistik an der Universität Wien,
Gertraude Zand, beschreibt, wie stark die Schriftsteller in den 50er
Jahren mit den Bildern der Vertreibung die Emotionen der Leser
angesprochen haben:
"Da gibt es den positiven Helden, der diese Vertreibung forcieren
will und gegen alles kämpft, was dem widerstrebt. Und dann gibt es die
bösen Deutschen, die Sabotageakte machen und sich zu den Wehrwolfgruppen
formieren. Es gibt auch Szenen, wo eine tschechische Familie in das Haus
einer deutschen Familie einzieht, die gerade über die Grenze musste. Am
Herd ist noch der Topf warm und diese Tschechin, die ein gutes Herz hat,
ist ganz gerührt, wie schrecklich das sein musste. Eine andere Person
antwortet darauf, dass es aber bei ihnen im Jahr 1938 genauso war, als die
Tschechen ausgesiedelt wurden."
In der Literatur der 50er Jahre gab es also auch kritische Stimmen
vonseiten der Tschechen gegen die Vertreibung, diese wurden aber sofort
entkräftet. Den deutschen 'Helden' der literarischen Stücke werden auch
klare Eigenschaften zugeschrieben. Dazu Gertraude Zand:
"Also die deutschen Frauen sind meistens maskulin und heißen Gertrude, es sind eindeutig negative Figuren. Die Deutschen werden fast wie böse Wilde dargestellt, meistens aggressiv und widerspenstig. Es gibt aber auch den verängstigten, kranken, alten und bleichen Deutschen, immer mit irgendeiner Form der Aggression oder Degeneration, jedenfalls alles sehr einseitig und negativ beschrieben. Die dominanten deutschen Eigenschaften sind Fanatismus, Gewaltbereitschaft und auch Autoritätsglaube."
Mit der Zeit ist das Thema Vertreibung in den Hintergrund geraten, bis in
den 60er Jahren viele Schriftsteller wieder versucht haben, sich der
eigenen Geschichte anzunähern. Nicht nur die Vertreibung, sondern zum
Beispiel auch die Fehler des Stalinismus wurden kritisch beleuchtet, sagt
Gertraude Zand:
"In den 60er Jahren ist es interessant, dass dieses Thema nicht mehr
so direkt abgehandelt wird. Es kommen eher individuelle Schicksale in den
Vordergrund, die in irgendeiner Form mit der Vertreibung etwas zu tun
haben. Es ist auch interessant, dass in den 60er Jahren die literarischen
Werke neue Impulse für das gesellschaftliche Bewusstsein brachten. In den
60er Jahren gibt es eine neue Sicht auf die Vertreibung, es handelt sich
um einzelne Schicksale. Das geht dem gesellschaftlichen und politischen
Diskurs voran. In diesem Fall ist die Literatur eher einen Schritt
voraus."
Mit der Zeit verschwindet die Thematik langsam aus den tschechischen
Büchern, sagt Zand:
"Aus den 70er und 80er Jahren haben wir eigentlich weniger Beispiele
gefunden. Es ist eigentlich ein Thema - so scheint uns auch heute -, das
sehr schlecht aufgearbeitet wurde. Es ist immer nur irgendwo am
Rande."
Die Bohemistikprofessorin Gertraude Zand beschäftigt sich seit Jahren mit
Tschechien und schwerpunktmäßig mit der tschechischen Literatur. Bei der
Zusammenstellung des Sammelbandes "Vertreibung, Aussiedlung,
Transfer" hat sie jedoch besonders nach der Lektüre des Romans von
Vaclav Rezac neue Facetten der Vertreibung entdeckt:
"Was für mich sehr interessant war, ist die Erkenntnis, dass nicht
nur die Deutschen vertrieben wurden, sondern mit den Deutschen auch ein
ganz großer Teil der tschechischen Kultur verloren ging. Die
Kolonisatoren, also diejenigen, die diese Aussiedlung betrieben, waren
schon im Geist für die kommunistische Macht tätig. Die Deutschen wurden
eigentlich vertrieben, um Platz für den Einzug des sowjetischen Imperiums
zu schaffen."
Der Grundgedanke für die Herausgabe dieses Bandes war der erwartete
Beitritt der Tschechischen Republik zur Europäischen Union und die
politischen Diskussionen, die in diesem Zusammenhang in Österreich
aufgetreten sind. Gertraude Zand wollte diesbezüglich zeigen, wie das oft
diskutierte Thema gerade in der Literatur dargestellt wurde:
"Die Diskussion um die Vertreibung und um die Benes-Dekrete war lange
Zeit ein großes Thema in Österreich. Diese Diskussion wurde sehr einseitig,
sehr emotional und sehr nationalistisch geführt. In dem Kontext war es für
mich logisch, mal nachzusehen, was das Thema Vertreibung, Aussiedlung oder
Transfer, wie man auch sagen kann, aus der Sicht eines
Literaturwissenschaftlers bedeutet oder wie man dieses Thema in der
Literatur vorfindet."
In dem zweisprachigen Sammelband, der im vergangenen Jahr in Tschechien
herausgegeben wurde, kommen Literaturwissenschaftler, Historiker und
Psychologen sowohl aus Deutschland als auch aus der Tschechischen Republik
zu dem Schluss, dass das Thema der Vertreibung in der tschechischen
Literatur nicht ausreichend verarbeitet wurde. Aber eins ist klar: Während
das Thema Vertreibung in den 50er Jahren auf der Hand lag und viel Material
zur Interpretation bietet, wird in späterer Zeit die Suche in den
literarischen Werken zur Suche nach der Nadel im Heuhaufen.
Source: Czech Radio 7, Radio Prague
URL: http://www.radio.cz/de/artikel/68345
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