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Analyse: Kein Schlusspunkt 1945
5. 7. 2005, Themenbereich: Politik

Neue Initiativen zur Auseinandersetzung mit der Geschichte


Die Vertreibung der Sudetendeutschen sei nicht Folge der vorangegangenen deutschen Okkupation sondern Ergebnis einer Politik, die einen ethnisch reinen slawischen Staat schaffen wollte. Diese provokante These vertrat der Historiker Emanuel Mandler in einem Beitrag für die Tageszeitung „MFDnes“ und für die „Prager Zeitung“.

Vertreter dieser Politik war nach Mandler der damalige Präsident Edvard Bene¹. Mandler ging noch weiter: Mit der Enthüllung des Bene¹-Denkmals vor dem Außenministerium in Prag habe sich auch die heutige politische Elite zu dessen Erbe bekannt.
Der Anstoß des Historikers löste eine heftige Diskussion aus, an der sich auch Präsident Václav Klaus beteiligte. Der bezeichnete Mandlers These als eine „Unverschämtheit“. Abgesehen von dieser persönlichen Note blieb Klaus sachlich und stellte fest, „dass es zu keinem Transfer (Abschub, Aussiedlung oder Vertreibung) der Deutschen von unserem Territorium gekommen wäre, wenn nicht die Jahre 1938 bis 1945 gewesen wären, dass dies niemandem eingefallen wäre, wenn nicht vorher der Transfer der Tschechen aus den Sudeten erfolgt wäre, dass das, was nach dem Krieg geschah, einzig und allein eine Folge, aber nicht Ursache sein kann“.


Das Thema der Vertreibung, die Fragen nach Gründen und Ursachen sind in Tschechien auch 60 Jahre nach Kriegsende nicht ohne Brisanz. Abgesehen von einigen Intellektuellen und Journalisten will eine Mehrheit der Tschechen die einmal – nämlich 1945 – gegebenen Antworten nicht neuerlich hinterfragen, geschweige denn sie in Zweifel ziehen.


Einerseits, und das mag überwiegen, steht dahinter Gleichgültigkeit. Weit zurück liegen die in den neunziger Jahren geführten heißen Debatten. Wenn in diesem Jahr der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber vor den in Augsburg versammelten Sudetendeutschen böse Drohungen in Richtung Tschechien ausstößt, sollte es die Bene¹-Dekrete nicht aufheben, wird das zwar mit Stirnrunzeln registriert. Aber schnell geht man wieder zur Tagesordnung über.


Andererseits gibt es aber auch heute noch genug Verbissene, die selbst eine Diskussion zu diesem Thema und jede noch so kleine Geste strikt ablehnen. Dazu gehören jene, die vor einigen Wochen Oldøich Stránský aus dem Tschechischen Verband der Freiheitskämpfer ausschlossen. Die Deutschen hatten Stránský wegen dessen jüdischer Abstammung in eines ihrer Vernichtungslager gesteckt. Nach der Wende von 1989 gehörte er trotzdem, oder gerade deshalb zu denjenigen, die für eine konsequente Aussöhnung mit den Deutschen eintraten.

Neuerlich bewies er das Anfang des Jahres, als er Sympathien für die sudetendeutsche Vertretung in Prag bekundete. Das war dem Verband zuviel. Stránský wurde ausgeschlossen, er sei ja selbst ein Sudetendeutscher. Und ihm wurde das vorgeworfen, was auch Präsident Klaus dem Historiker Mandler vorhält: Stránský gehöre zu den Leuten, für die die Kriegsleiden erst 1945 begonnen hätten und die vergessen würden, was dem vorausgegangen sei.


Weder Stránský noch Mandler kann man aber vorwerfen, ausblenden zu wollen, was vor 1945 geschah. Dafür steht Stránskýs Lebenslauf, und Mandler ist Historiker. Gerade ihm geht es vielmehr darum, die Diskussion wieder anzuregen. Denn die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte, ohne Einmischung von außen, darf in Tschechien nicht für abgeschlossen betrachtet werden.
Beide stehen nicht allein. Einige Initiativen gerade im Zusammenhang mit dem Kriegsende vor 60 Jahren zeigen, dass es nicht mehr nur Einzelne sind, die nicht im Mai 1945 einen Schlusspunkt der Geschichte setzen wollen. Die Stadt Brünn hatte den deutschen Botschafter zu einer Gedenkfeier für die Opfer des so genannten Brünner Todesmarsches eingeladen. Und am 31. Juli wird Ústí nad Labem, das einstige Aussig an der Elbe, des Massakers an den Deutschen vor 60 Jahren gedenken.

Die Entschädigung der sudetendeutschen Antifaschisten, ein schon längst totgesagtes Thema, wurde Anfang Juni überraschend von Premier Jiøí Paroubek aufgenommen. Der Regierungschef spricht sich für „eine öffentliche Anerkennung des demokratischen sudetendeutschen Widerstands“ und „wenigstens für eine symbolische Entschädigung der tatsächlichen deutschen Antifaschisten“ aus.



Von Uwe Müller