[18.06.2005] - Kapitel aus der Tschechischen Geschichte - Katrin Bock
Die deutsche Minderheit nach 1945
Vor 60 Jahren, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs im Mai 1945, begann die
Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus den Böhmischen Ländern. Nicht
alle mussten damals ihre Heimat verlassen. Im nun folgenden Kapitel aus
der tschechischen Geschichte unterhält sich Katrin Bock mit Margarete
Bauer über das nicht immer einfache Leben der deutschen Minderheit nach
1945.
Das Ende des zweiten Weltkriegs im Mai 1945 begrüßten die meisten Bewohner
Europas mit Freude und Erleichterung - einigen brachte es allerdings
erneutes Leid und Verlust. Bereits im Mai 1945 erfolgten die ersten so
genannten wilden Vertreibungen von Sudetendeutschen aus den Böhmischen
Ländern. Bis zum Ende der Potsdamer Konferenz am 2. August 1945 sollen
schätzungsweise 750.000 Deutsche vor allem aus Südmähren und Nordböhmen
vertrieben worden sein. Später setzten dann organisierte Bahntransporte
ein, mit denen bis Ende 1946 rund 2,8 Millionen Sudetendeutsche
ausgesiedelt wurden. Nicht alle deutschen Bewohner der Böhmischen Länder
mussten damals ihre Heimat verlassen. Schätzungsweise 250.000 von ihnen
durften bleiben. Dabei handelte es sich entweder um tschechisch-deutsch
gemischte Familien, um Antifaschisten oder um so genannte Unabkömmliche,
deren Kenntnisse in den nun verstaatlichten Betrieben und Fabriken
gebraucht wurden.

Edvard Benes
Der tschechoslowakische Präsident Edvard Benes erließ in jenen
Nachkriegswochen und Monaten, bis ein neu gewähltes Parlament
zusammenkommen sollte, so genannte Dekrete. Diese Übergangsegelungen
basierten auf Vorschlägen der Regierung. Im März 1946 bestätigte dann das
neue Parlament die Dekrete als Gesetze. Nur 13 der insgesamt 143 heute als
Benes-Dekrete bezeichneten Verordnungen betrafen die deutsche und
ungarische Minderheit der Tschechoslowakei. Mitte Mai und Mitte Juni
wurden die ersten zwei Dekrete über entschädigungslose Enteignungen sowie
Konfiskationen von Besitz Deutscher und Ungarn erlassen. Das Dekret 33 vom
2. August 1945 verfügte über die Aberkennung der Staatsbürgerschaft aller
tschechoslowakischer Deutschen und Ungarn. Ausgenommen von dieser
Bestimmung waren diejenigen, die Zitat: " sich niemals etwas gegen
das tschechische oder slowakische Volk zuschulden kommen ließen und sich
aktiv an ihrem Befreiungskampf beteiligt oder unter nazistischem oder
faschistischem Terror gelitten haben". Das am 19. September 1945
verabschiedeten Dekret Nr. 71 hatte die Arbeitspflicht für alle Deutschen
und Ungarn zum Inhalt, und das Dekret Nr. 108 vom 25. Oktober 1945
schließlich die entschädigungslose Konfiskation des gesamten
"Feindvermögens".
In jener Zeit der Vertreibung und Aussiedlung sah es so aus, als ob die
Deutschen, die in der alten Heimat bleiben durften, die Glücklicheren
wären. Doch mit der Zeit stellte sich das Gegenteil heraus. Die Lage der
Deutschen in der Tschechoslowakei war alles andere als rosig - die meisten
hatten die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft auf Grund des Dekrets vom
2. August 1945 verloren und damit auch viele Rechte, wie das auf höhere
Bildung, das aktive und passive Wahlrecht oder die freie Wohnortswahl.
Viele Sudentendeutsche wurden in jenen Monaten aus dem Grenzgebiet ins
Landesinnere umgesiedelt. Hier mussten sie oftmals Zwangsarbeit bei
geringen Löhnen leisten. Erst 1953 erhielten alle noch im Lande lebenden
Deutschen die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft zurück. Während des
Prager Frühlings 1968 wurden sie endlich als nationale Minderheit
anerkannt.
In der ersten Nachkriegsvolkszählung von 1950 gaben 165.100 Personen die
deutsche Nationalität an, in der letzten Volkszählung von 2001 waren es
nur noch 39.100. Organisiert sind diese heute in zwei Vereinen - der
Landesversammlung der Deutschen in Böhmen, Mähren und Schlesien, die
derzeit rund 5.800 Mitglieder hat und dem Kulturverband der Deutschen mit
ca. 2.000 Mitgliedern. Im Kulturverband ist Margarete Bauer seit
Jahrzehnten tätig. Nach Kriegsende konnte sie mit ihrem Mann als
unabkömmlich in Böhmen bleiben. Mit ihr unterhielt ich mich über das Leben
als Deutsche im nordböhmischen Usti nad Labem - Aussig an der Elbe.
"Ich heiße aus Margaerete Bauer, ich komme eigentlich aus Gablonz,
wohne aber bereits über 50 Jahre in Aussig - der Grund, warum wir hierher
gekommen sind, war eigentlich die Industrie, man hat Maschinen aus meinem
Heimatort hierher gebracht und man brauchte Schlosser und da ist mein Mann
mitgegangen. Das ist der Grund, warum ich nach Aussig gekommen bin. Hier
habe ich mich selbstverständlich sofort in die Arbeit für die deutsche
Minderheit mit eingebracht, das war damals die Nationalitätenkommission
beim Bezirksnationalausschuss, das war 1951 -52. Die Bezirkskulturzentren
haben uns damals geholfen, irgendwelche Veranstaltungen für die deutsche
Minderheit zu organisieren. Das war seit 1951 möglich, allerdings in einem
engen Rahmen, aber es hat funktioniert. Damals gab es so etwas wie eine
Volksakademie und diese hat es geschafft, einen Zyklus Kurse zu
organisieren, also Vorträge in deutscher Sprach. Und soviel ich mich noch
erinnern kann, wer alle Vorträge besucht hat, bekam sogar ein Diplom und
als Belohnung gab es einen Ausflug am Ende."
War das Interesse groß, oder hatten viele Deutsche Angst, sich dazu zu
bekennen?
"Das Interesse für diese Vorträge war groß, aber ein eigener Verein
bestand damals noch nicht, und als wir ihn gegründet haben, war die Angst
sehr groß, sich da einzubringen, das hat viel Überzeugungskunst
gekostet."
War diese Angst berechtigt? Gab es offensichtliche Benachteilungen für
Deutsche?
"Diese Angst war eigentlich nicht besonders berechtigt - aber wenn
jemand dann ins Ausland fahren wollte und zur Polizei kommen musste, wegen
der Papiere, dann wurde gesagt:" wir wissen, Sie sind Mitglied beim
Kulturverband" und das hat die Leute natürlich schockiert, wir waren
alle unter den Augen bekannt. Ich war immerzu unter einer Kontrolle, aber
das hat mir eigentlich nichts ausgemacht. Ich muss ehrlich sagen, der
Sozialismus hat mir nicht wehgetan."
Sie persönlich bereuen es nicht, dass sie sich engagiert haben?
"Nein, dass hab ich nie bereut, das habe ich immer gern gemacht. Es
war notwendig, die Menschen müssen etwas haben, woran sie glauben. Der
Kulturverband war eigentlich unsere Familie -dort konnten wir deutsch
sprechen, so wie wir zu hause deutsch gesprochen haben und niemand hat uns
dabei angefeindet. Es war ein Erlebnis, wenn Sie in den Saal gekommen sind,
z.B. zu einer Weihnachtsfeier und da waren 200 Mitglieder, 200 Deutsche,
alle sprachen deutsch, alle sangen deutsche Lieder - das war für die
damalige Zeit wirklich viel wert."
Wie viele Deutsche gab es eigentlich in Usti?
"Ich weiß nicht, wie viele Deutsche es wirklich gab, aber unser
Verband hatte zu Anfang weit über 200 und das war schon eine beachtliche
Anzahl. Im ganzen Gebiet hatten wir damals bei Gründung des Kulturverbands
an die 8000 Mitglieder - da war schon was los. Selbstverständlich gab es
auch viele einzelne Organisationen."
Ich habe noch eine Frage zum heutigen Kulturverband - wie alt ist das
jüngste Mitglied?
"Die älteste ist 97, und die jüngste - ich weiß nicht, aber es gibt
nur wenige, die unter 70 sind, vielleicht ein, zwei, die unter 70 sind,
aber das Durchschnittsalter ist mindestens 75 Jahre, meistens sind es
Frauen, weil uns die Männer vorausgegangen sind in die ewigen
Jagdgründe."
Wie kommt es, dass die jüngere Generation kein Interesse hat. Sind sie
assimiliert, fühlen sie sich als Tschechen, oder woran liegt das?
"Das dürfte ein Fall sein, aber zum anderen haben wir eigentlich für
die jüngere Generation nichts anzubieten, denn das, was uns zusammenhält,
das ist für sie uninteressant. Erst einmal die Sprache - sie sprechen alle
viel besser tschechisch wie deutsch - es ist in den Familien eigentlich
kaum mehr üblich, deutsch zu sprechen, die Kinder sind in den
tschechischen Kindergarten gegangen, in den Hort, in die Schule,
Geschwister haben untereinander tschechisch gesprochen, die Eltern mussten
mitziehen. Es gab auch Familien, die nicht mitziehen konnten, die haben
dann vielleicht zehn Jahre manchmal gekämpft, um aussiedeln zu können, die
Kinder mitnehmen zu können nach Deutschland."
Darf ich Sie fragen, wie es bei Ihnen in der Familie war, ist Ihr Mann
Deutscher?
"Mein Mann war Deutscher, wir haben natürlich deutsch gesprochen -
ich habe zwei Kinder, die sprechen gut deutsch. Meine Tochter ist
Deutschlehrerin, mein Sohn hätte beinahe seine Arbeit verloren, aber er
hat sich mit der deutschen Firma in Verbindung gesetzt, und da helfen ihm
natürlich dabei seine Deutschkenntnisse. Die Deutschkenntnisse haben sich
bei ihm eigentlich so gut entwickelt und erhalten, weil eben die DDR bei
uns in Tisa sehr nahe war und viele Freunde herüberkamen, die schon auf
ihn gewartet haben - er war ein guter Dolmetscher und außerdem hat er so
beide Sprachen erhalten."
Soweit Margarete Bauer aus Tisa bei Usti nad Labem -Aussig an der Elbe.
Source: Czech Radio 7, Radio Prague
URL: http://www.radio.cz/de/artikel/67572
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