[28.05.2005] - Feuilleton - Martina Schneibergova
Werner Nowak: Ludvík nahm ich anstelle meines ermordeten Bruders an
In unserer Miniserie anlässlich des 60. Jahrestags des Kriegsendes bringen
wir heute die Erinnerungen von Werner Nowak. Dr. Nowak, ist heute
Präsident der Bundesversammlung der Sudetendeutschen Landsmannschaft, er
ist deutsch-tschechisch in Prag aufgewachsen. Er war 13, als der Krieg zu
Ende ging:
"Jetzt im Mai habe ich ganz tiefe Erinnerungen an diese Zeit vor 60
Jahren, als ich noch hier in Prag gewohnt habe und als wir meine Mutter,
mein Bruder und ich dann am 7. Mai abgeholt wurden - angeblich zu einem
Verhör - und nie wieder unsere Wohnung, unsere Heimat wieder gesehen
haben. In der gleichen Nacht vom 7. auf 8. Mai mussten wir in Prag-Sedlec,
wo wir gewohnt haben, an der Kreuzung nach Suchdol lebende Panzersperre
stehen. Gegen Morgen, als es sich abzeichnete, dass keine Kampfhandlungen
bei uns stattfinden und dass die deutschen Truppen entweder nicht oder auf
einem anderen Weg nach Westen ziehen, dann ging es richtig los. Dann hat
man meinen Bruder ausgewählt, sie haben ihn misshandelt, bis er zu Boden
fiel und als er sich aufrichtete, dann gab es einige Feuerstöße aus der
Maschinenpistole, und mein Bruder brach zusammen und blieb liegen. Wir
wissen auch nicht, wo er beerdigt ist und das mussten wir - meine Mutter
und ich - damals in der Nacht alles ansehen."
Werner Nowak ist mit seiner Mutter nach einem langen Weg im Frühjahr 1946
nach Stuttgart gekommen, wo er sich niederließ. Am Anfang wollte er mit
Tschechisch nichts zu tun haben, erst 1968 sollte sich seine Einstellung
ändern:
"Obwohl ich deutsch-tschechisch aufgewachsen bin und in Prag
tschechische Freunde hatte und mir die tschechische Sprache wie die zweite
Muttersprache vertraut war, hatte ich dann nach der Vertreibung einen
derartigen Hass. Das war mehr oder weniger auch ein Schock. Ich konnte die
Sprache einfach nicht mehr hören, denn das, was wir zuletzt hörten, waren
ja nur Schimpfworte.
Ich kam dann viel später beruflich in diese Situation: Ich bin als Jurist
beim Innenministerium in Stuttgart gelandet, und zwar habe ich mich in die
Abteilung gemeldet, wo Flüchtlinge und auch politische Flüchtlinge betreut
wurden. Ich kam dort 1968 mit einer Familie in Kontakt, die aus Pilsen
kam. Das war Professor Císar -ein hoch intelligenter, feiner, sensibler
Mensch. Er saß unter den Kommunisten im Gefängnis - wegen seiner
christlichen Überzeugung. Dem konnte ich helfen, dass die Familie wieder
Fuß fassen konnte, Wohnung bekam, er bekam eine Anstellung als
Physiklehrer in einem Gymnasium in Stuttgart. Und aus dieser Bekanntschaft
wurde dann eine Freundschaft, und als er erfuhr, welches Schicksal ich
hatte - nämlich, dass ich einen Bruder verloren habe durch den
tschechischen Aufstand - erzählte er mir dann, dass er auch seinen älteren
Bruder verloren hatte, der einer der Anführer dieser Studentenrevolte von
1939 war, als die Studenten gegen die deutsche Protektoratserrichtung
protestiert haben und wo dann sehr viele Studenten verhaftet und die
tschechischen Hochschulen geschlossen wurden. Diesen Bruder verlor er in
einem deutschen Zuchthaus. Er beendete diese Erzählung und sagte zu mir:
´Werner, ich biete dir an, dass du jetzt die Stelle meines verstorbenen
Bruders einnimmst und ich wäre dir dankbar, wenn du meine Person als
deinen Bruder anstelle deines ermordeten Bruders annehmen würdest.´ Das
war ein solches Erlebnis! Und das war der Durchbruch, da habe ich wirklich
etwas erlebt, was man mit Worten gar nicht beschreiben kann. Mit einem
Schlag war mir klar, so wie ich vorher der tschechischen Seite gegenüber
eingestellt war, so kann es ja nicht sein. Denn es gibt ja auch andere
Menschen, es gibt Ludvík Císar - meinen Ersatzbruder! Von dem Augenblick
an habe ich mich dann für die Verständigung voll eingesetzt."
Source: Czech Radio 7, Radio Prague
URL: http://www.radio.cz/de/artikel/66993
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