[12.05.2005] - Tagesecho - Thomas Kirschner
Stiftung Charta 77 ehrt demokratische Sudetendeutsche mit
kollektiver Auszeichnung
Für Zivilcourage und Standhaftigkeit vor der Gewalt
vergibt die tschechische Stiftung Charta 77 alljährlich den
Frantisek-Kriegel-Preis. Am Mittwoch wurde der aktuelle Jahrgang der
Auszeichnung in der Spiegelkapelle des Prager Klementinums übergeben. Mit der
Auswahl des Preisträgers setzte die Stiftung in den Feiern zum 60. Jahrestag des
Kriegsendes einen eigenen Akzent: Ausgezeichnet wurden alle jene
tschechoslowakischen Deutschen, die sich für die demokratische Tschechoslowakei
und gegen den Nationalsozialismus eingesetzt haben. Thomas Kirschner war vor
Ort.

Frantisek Kriegel
Seit 1987 vergibt die Stiftung Charta
77, die sich für Menschenrechte und die Ausweitung der Bürgergesellschaft
einsetzt, den Frantisek-Kriegel-Preis - anfangs noch aus dem schwedischen Exil.
Die Auszeichnung erinnert an den einzigen Vertreter der tschechoslowakischen
Regierung, der sich nach dem Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen 1968
geweigert hatte, die sowjetischen Forderungen zu unterzeichnen. Für ihre
Standhaftigkeit gegenüber der Gewalt im Geiste Frantisek Kriegels wurden in
diesem Jahr kollektiv die demokratisch gesinnten tschechoslowakischen
Staatsbürger deutscher Nationalität ausgezeichnet, die sich dem
Nationalsozialismus entgegengestellt hatten. 60 Jahre nach Kriegsende sieht der
Vorsitzende der Stiftung, der Atomphysiker Frantisek Janouch dies als
überfällige Geste:
"Bislang wurde
noch nirgendwo die pro-demokratische Haltung von einigen der
tschechoslowakischen Deutschen anerkannt. Sie waren in der Minderheit, aber umso
wichtiger ist es, dass es sie gab. 60 Jahre nach dem Krieg kommt diese
Auszeichnung spät - aber besser spät als nie." Stellvertretend für alle
demokratischen Deutschen in den böhmischen Ländern wird der Preis an die
mittlerweile über 80-jährige in Berlin lebende Tochter des deutschböhmischen
Parlamentariers Otto Halke übergeben, der von 1926 bis 1935 der
tschechoslowakischen Nationalversammlung angehörte und entschiedener Gegner des
Nationalsozialismus war. Der Vorschlag dazu kam von der Publizistin Alena
Wagnerova:
"Ich traf im Zusammenhang mit einem Projekt, an dem ich
arbeite, die Tochter von Otto Halke, und sie zeigte mir zwei Bleistifte, mit
denen ihr Vater Masaryk in der Nationalversammlung 1934 zum Präsidenten gewählt
hat. Und als ich sie gefragt habe, warum ihr Vater in dem Koffer, mit dem er
nach Deutschland ging, diese Erinnerungen an die tschechoslowakische
Staatlichkeit mitgenommen hat, sagte sie: Aber es war doch auch unser Staat! Und
das hat mich als Tschechin sehr bewegt, weil ich das bislang noch von keinem
unserer tschechoslowakischen deutschen Mitbürger gehört hatte."
Die Laudatio hielt der Vizepräsident des Tschechischen
Senates und ehemalige Dissident Petr Pithart. Er glaubt, dass die
Preisverleihung auch als Signal an die Politik wirkt, sich mit diesem Teil der
tschechisch-deutschen Geschichte auseinanderzusetzen.
"Dafür sind Nicht-Regierungsorganisationen wie die
Stiftung Charta 77 ja da: als Wegbereiter, um Themen zu öffnen. Und ich glaube,
dass diese Preisverleihung auch bei der Regierung wahrgenommen wird. Es ist
sicher kein Zufall, dass heute auch der Stellvertretende Außenminister hier
war."
Source: Czech Radio 7, Radio Prague
URL:
http://www.radio.cz/de/artikel/66437
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